Ich versuche, das mal etwas emotionsloser und fernab der üblichen Automatismen ("satt", "arrogant", "überbezahlt" usw.) zu betrachten. Es gilt der Satz: "Es gibt keine Kleinen mehr", den ich aber umformulieren will: "Man kann sich selbst in der Gruppenphase nicht einmal mehr eine schwache Halbzeit leisten."
Denn unterm Strich hat das gereicht, um aus dem Turnier zu fliegen. Nüchtern betrachtet hat Deutschland die erste Halbzeit gegen Japan gewonnen, beide Halbzeiten gegen Costa Rica, und beim Unentschieden gegen Spanien eine anerkennenswerte Leistung auf Augenhöhe abgeliefert. Dass Deutschland gegen CR 8 oder 9:0 gewinnt, hat nicht einmal der größte Optimist geglaubt. Und Japan war in den beiden Spielen stark, in denen sie im Grunde ohne Druck spielen konnten. Ob sie im Achtelfinale mit dem 1-9-1 System weiterkommen - ich bin gespannt. Nicht, dass ich es ihnen nicht gönnen würde, denn im Unterschied zur Deutschen Mannschaft stimmt da von vorne bis hinten die Einstellung - das ist auch das Wesentliche, was ich dem deutschen Team am ehesten vorwerfen würde.
Und selbst das ist immer leichter gesagt als getan: 2014 war der WM Sieg generalstabsmäßig bis ins kleinste Detail geplant (soweit man das halt planen kann - am Ende produzieren in der letzten Spielminute der Verlängerung die beiden Joker den Siegtreffer. Und wie war das eigentlich gegen Algerien?). Diese Mal hatte man im Grunde eine Woche Zeit. Nicht, dass ich der deutschen Mannschaft den WM Sieg zugetraut hätte, aber die wenigsten Mannschaften, insbesondere mit Spielern, die hauptsächlich in europäischen Ligen engagiert sind, haben durchgehend überzeugt. Selbst die SuperDuper Oberfavoriten Argentinien haben sich im ersten Spiel bis auf die Knochen blamiert.
Frei nach Kierkegaard kann man eben das Spiel nur von vorne spielen und von hinten verstehen/analysieren. Und ich würde mir wünschen, dass man der Nationalmannschaft mal ein, zwei Turniere Zeit gibt, sich neu zu formieren und mit jungen Spielern wieder ein Team zu formen, dass dann 2030 tatsächlich Weltmeister werden kann. Musiala zuzusehen, wie er auch gegen Spanien kaum vom Ball zu trennen ist, war eine Freude - jetzt muss man ihm noch beibringen, den Abschluss zu finden oder den Nebenmann richtig einzusetzen.
Im Team 2014 waren fast alle Spieler auf dem Zenit ihrer Leistungsfähigkeit, ihrer spielerischen und persönlichen Reife und haben das dann in Summe auch auf den Platz gebracht. Der Einzige, der das erkannt hat, war (wie so oft) Philipp Lahm - und ist zurückgetreten. Und es hat wertvolle Zeit gekostet, Jogi Löw das Austragsstüberl WM 2018 zu gönnen - statt schon spätestens nach der EURO 2016 von vorne anzufangen.
Nur: Es wird eben von "der Mannschaft" bei jedem Turnier auch mindestens das Halbfinale oder auch Finale erwartet. Wenn man/die Bildzeitung/die 40 Millionen Nationaltrainer sich mal davon für ein paar Jahre verabschiedeten, bin ich sehr zuversichtlich, dass wieder ein großartiges Team entstehen kann und wird. Und Hansi Flick traue ich das auch zu. Seine Spielidee ist eher, vorne zwei, drei Tore zu machen, um sich hinten auch mal eins leisten zu können. Und dafür wurde er beim FB Bayern auch (zurecht) gefeiert). Gegen Japan (und im Ansatz auch gegen CR) hat man gesehen, wie riskant das werden kann. Trotzdem will ich lieber solche Spiele wie gegen CR sehen als ein urfades, knallhart ermauertes 1:0 a la Mourinho...
Mal sehen, was die nächsten Tage so passiert.