Direkt vom Tsunami waren vor allem die Menschen betroffen, die in den Städten und Dörfern am Meer, bzw. teilweise auch viele Kilometer ins Landesinnere, lebten. Viele Tausende starben; ganze Ortschaften wurden zerstört und bis heute nicht wieder aufgebaut, je nachdem wie weit sie von den Reaktoren in Dai-Ichi entfernt lagen. Zum Glück kannten wir dort niemanden persönlich.

Die radioaktive Wolke, die sich gebildet hat, wurde vom Wind und Regen hauptsächlich in nordöstlicher Richtung weggetrieben, so dass die direkt verseuchtesten Gebiete eher im ländlichen Bergland liegen. Dort wird in den allermeisten Gebieten auch so schnell niemand mehr siedeln. In den größeren Städten Fukushima und Koriyama geht das Leben jetzt wieder seinen gewohnten Gang, weil es eben sein muss. Viele sind nach Tokyo und Kyushu abgezogen; andere konnten und/oder wollten das nicht.
Ein großes Fragezeichen ist, inwieweit der Fischbestand verseucht ist. Darüber redet man in Japan nicht gerne, weil jeder gern Fisch isst und lieber nicht darüber nachdenken will. Auch die Pilze (die wichtiger Bestandteil japanischen Essens sind) importiert man jetzt besser aus China oder Korea...

Die direkten Folgen von Erdbeben, Tsunami und Reaktorkatastrophe haben wir alle im TV gesehen.
Doch viele individuelle Schicksale dauern an.
Es wurden zum Beispiel Wiederaufbauhilfen für im Erdbeben beschädigte oder zerstörte Gebäude bezahlt, aber nur an Menschen, die in genau abgegrenzten Zonen lebten. Wer einen Straßenzug weiter gebaut hat, hatte Pech, wenn sein Haus plötzlich Risse zeigt.
Dies geschah in der Gegend in der meine Schwiegereltern leben (gar nicht so weit nördlich von Tokyo-Stadt!) und so mancher Nachbar muss jetzt selbst viel Geld in die Hand nehmen, um zu sanieren. Unsere Familie lebt zum Glück in einem (modernen) Holzhaus, das offensichtlich weitgehend erdbebensicher ist.
Mit Erdbeben hat man in Japan zu leben gelernt. Das gehört zum Land und seiner Seele dazu. Aber dass die Folgen aber durch menschliches Versagen, Vertuschung, Fehlplanung, Geiz, Schlam*erei usw. so verheerend ausgefallen sind, das wird man in Zukunft nicht mehr so leicht wegstecken.

Die größten Auswirkungen der Reaktorkatastrophe selbst, von den Verstrahlungen abgesehen, die in ihrer langfristigen Zerstörungskraft kaum zu quantifizieren sind, scheinen wirtschaftlicher Art zu sein.
Hundertausende Japaner zogen um, verloren ihre Arbeit, da ihren Arbeitgebern Produktionsmittel und/oder Kundschaft abhanden kamen. Und es war/ist enorm schwer neue Arbeit in Japan zu finden.
Die großen Arbeitgeber sparen jetzt auf Teufel-komm-raus, stellen möglichst wenig ein, und wenn dann nicht mehr zu den komfortablen Bedingungen, an die man sich in Japan gewöhnt hatte.
Zwei komplette Unijahrgänge kamen so um ihre Zukunftschancen, denn wer im April keinen Job bekommt, gilt selbst später bei verbesserter Wirtschaftslage als schwerer vermittelbar. Jeder Bruch im Lebenslauf, und sei er noch so unverschuldet, hinterlässt einen Makel.
Viele mussten Teilzeitjobs annehmen, zu furchtbarer Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Von dort aus ist es schwer, wieder in den geregelten Arbeitsmarkt einzusteigen.
Wenn man in Japan mobiler wäre, d.h. mit Englischkenntnissen und Auslandserfahrung ausgestattet wäre, wäre die Auswanderungswelle, die es in bescheidenem Ausmaß gegeben hat, noch viel größer geworden.
Ein Gutteil der Kunstszene, die ja zuvor recht gut in Japan leben konnte, ist mittlerweile in Berlin, Paris und New York sesshaft geworden.

Wie es im Energiewesen weiter gehen soll, ist momentan noch unklar. Abe, der neue/alte Premier würde gerne so schnell wie möglich möglichst viele Atomkraftwerke wieder anfeuern, kann sich aber den Tatsachen nicht verschließen, dass in der Vergangenheit bei Planung, Wartung und Betrieb geschludert wurde.
Eine Umstellung auf erneuerbare Energien ist natürlich unglaublich teuer. Es wäre zwar nach meiner Meinung zu stemmen, aber dann müsste auch der politische Wille, bzw. die Durchsetzbarkeit gegen mächtige wirtschaftliche Interessen gegeben sein. Zweifelhaft.