Beginnen wir heute einmal mit einer philosophischen Frage. Was ist besser? Kein Internet zu haben, oder schlechtes Internet zu haben? Das beschäftigt mich gerade. Ich komme zu dem Schluss: kein Internet ist besser. Weil man dann ja weiß, dass man keines hat. Bei schlechtem Internet aber keimt alle paar Minuten die Hoffnung auf, es doch noch einmal zu versuchen.

Wie heute. Zweieinhalb Stunden bin ich damit beschäftigt, meinen Post vom Vortag ins Forum zu laden. Nur den Text wohlgemerkt, das mit den Bildern habe ich bereits nach einer Stunde aufgegeben. Es geht – nichts. Und gerade wenn du dich damit abfindest, dass nichts mehr geht, trudelt dann doch eine WhatsApp rein, Instagram meldet eine neue Nachricht. Die Hoffnung keimt auf, dass da doch was geht. Doch genau dann geht wieder nichts. Es ist zum Verzweifeln.

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Inzwischen erkenne ich ein Muster. Alle 15 Minuten öffnet sich ein Zeitfenster für rund 90 Sekunden. Das muss man nutzen. Das passt für WhatsApp, unmöglich allerdings für Fotos im Forum. Es ist zum Verzweifeln! Aber Ok. Was will man auch erwarten für 399,95 US-Dollar. Ja, gut, das ist jetzt unfair. Für die Satelliten kann die Reederei ja nix. Aber egal. Mich macht die Situation grad echt unentspannt. Unzufrieden. Unglücklich.

Genieße es doch einfach, höre ich manche von Euch vielleicht sagen. Digital Detox und so. Alles gut und schön. Aber: nicht Meines! Ganz und gar nicht. Ich WILL das schlichtweg nicht! Okay? Ja, ich bin geeeeeereizt!

Dabei wollte ich Euch doch eigentlich von ganz was anderem erzählen. Von der Frau nämlich, die mich jeden Morgen aus meinen Träumen reißt. Nein, sie spielt NICHT Violine. Die Rede ist von der Kreuzfahrtdirektorin. Diese vermeldet täglich um 7:45, welche Gruppe sich jetzt auf den Weg machen soll. Sie macht dies mittels einer allgemeinen Kabinendurchsage. Und der Lautsprecher dafür befindet sich? Exakt. Genau über meinem Bett.

Lange schlafen ist also nicht, selbst wenn die eigene Gruppe, wie heute, erst sechs Stunden später an der Reihe ist. „Zipped & clipped“ solle man erscheinen. Das sei wichtig. Zipped & clipped – keinen Begriff habe ich in den letzten zwei Tagen öfter gehört. Was bedeutet das? Man soll bereits komplett angezogen am Expeditionsdeck (wir erinnern uns, das ist da, wo im Sommer der zweite Pool lockt) erscheinen.

Zipped, das bezieht sich auf die verschiedenen Layer, also die ganzen Unterjacken und den Parka. Reißverschlüsse bereits geschlossen. Clipped, das wiederum hat mit den Verschlüssen der Rucksäcke zu tun, sowie denen der Rettungswesten. Das alles anzulegen ist eine Wissenschaft für sich. Die Reihenfolge sollte man üben.

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So sollte der Rucksack sinnvollerweise als letztes, nach der Rettungsweste angelegt werden. Den vorderen Verschluss muss man dann aber unterhalb der Rettungsweste verschließen, damit die im Falle eines Falles auch aufgehen kann. Hat man statt eines Rucksacks einen Drybag dabei, sollte der vor der Rettungsweste übergezogen werden. Und in jedem Fall sollte man tunlichst darauf achten, die Kapuze überzuziehen, bevor man die Weste anlegt. Klingt komplizierter als es ist? Nein, das tut es nicht!

Gestern wäre ich in der ersten Gruppe gewesen, heute bin ich in der letzten. Beides ist mir grad so gar nicht Recht. Denn heute war ich früh wach und die Landing Site sah am Morgen bezaubernd aus. Alles weiß von frischem Schnee. Wunderschön. Der ist inzwischen nahezu komplett weg. Toll. Naja, was willste machen? Mal haste kein Glück – und mal einfach nur Pech.

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Nein, ich will nicht meckern. Denn das, was ich heute früh sehen durfte, das nimmt mir keiner. Frisch gefallener Schnee auf einer Vulkanlandschaft ist vielleicht mit das majestätischste Naturereignis überhaupt. Der leichte Sonnenschein lässt die komplette Insel silbern erstrahlen. Ein abartig toller Anblick. Eine andere Welt? Ein anderer Planet? Eine andere Galaxie! Da kann selbst Star Wars nicht mithalten.

Deception Island - vielleicht der tollste Ort der Welt. Wenn es denn Internet gäbe.

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Wie Santorin, nur in Kalt mutmaßte ich gestern noch. War ja dunkel und man konnte nix sehen. Doch so falsch lag ich damit gar nicht. Es hat tatsächlich was, nur dass der Krater hier eben noch fast vollständig erhalten ist.

Sonderlich windgeschützt ist es dennoch nicht. Die 10 Uhr Kajak-Tour musste abgesagt werden, die 12 Uhr Tour auch schon. Als es dann auch noch die 14 Uhr Tour erwischt, habe ich Angst, ob ich überhaupt noch an Land komme.

Der Wind ist stark. Und er ist eisig. Schon eine Dreiviertelstunde vor der eigentlichen Aufrufzeit begebe ich auf meine Kabine. Anziehen üben. Oder erst einmal die Sachen bereitlegen.

Schauen wir mal. Wir haben: ein Paar lange Unterhosen, zwei Paar Socken, eine normale Hose, eine wasserdichte Hose. Eines der in Ushuaia erworbenen Thermoshirts, ein Hemd, den Seabourn Unterparka, einen Belstaff Hoodie, eine leichte Fake-Daunen-Jacke und den orangenen Seabourn Überparka. Alles schließen, dann die Rettungsweste drüber. Zipped & clipped. Perfekt.

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Aaaaaaaldaaaaa!!!! Ist das warm!!!! Kurz raus auf den Balkon bis die Durchsage kommt und siehe da, die Sonne kommt raus. Super schön. Mit Erklingen der Stimme der Kreuzfahrtdirektorin geht’s dann auf Deck 5 ganz nach hinten. Dort stehen die Gummistiefel bereit. Also hinsetzen und anziehen.

Klingt einfach. Isses aber nicht. Habt Ihr jemals diese Reportagen gesehen, in denen junge Leute in so komische Anzüge gesteckt werden, die das Alter simulieren? Mhm, genau so geht’s mir grad. Jede Bewegung ist beschwerlich, ich komme kaum an meine Füße und muss unweigerlich über mich selbst lachen.

Dann noch zwei Paar Handschuhe übereinander und ich bin nicht einmal mehr in der Lage, richtig zu greifen. Auf geht’s zu den Zodiacs. Die warten auf Deck 3. Also zwei Decks runter und dann – warten, dass die gerade ankommende Gruppe aussteigt. Warten unter Infrarot-Strahlern. Eine tolle Idee, wenn man sich grad für Minus 48 Grad angezogen hat.

Bevor man in die Zodiacs steigt, geht man mit seinen Schuhen nochmal durch ein Desinfektionsbad. Auf dass auch ja nichts an Land gebracht wird. Dann auf zur Landing Site. Eine kurze Fahrt im Sonnenschein, die klar macht, was da gleich auf uns wartet: eiskalter, schneidender Wind.

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Die Temperaturen selbst liegen zwar nur ein wenig unter Null, doch der Wind kennt kein Pardon. Also alle Layer wirklich bis ganz oben zuziehen, die Mütze tief ins Gesicht, beide Kapuzen drüber und es passt. Fast schon zu warm. Ein Layer weniger wäre auch ok gewesen. Aber ich will nicht klagen, besser so, als anders.

Die Seabourn Quest ankert heute in der Whalers Bay, einem Seitenkrater von Deception Island. Sie tut dies zum allerersten Mal. Ankern indes ist nicht ganz richtig. Denn einen Anker hat der Kapitän heute nicht gesetzt. Wollte vielleicht den Vulkan nicht unnötig reizen. Stattdessen dümpelt das Schiff also in der Mitte des Kraters und dreht sich den ganzen Tag ein wenig hin und her. Auch das Santorin durchaus nicht unähnlich.

Irgendwie ist es ein seltsames Gefühl, das Land zu betreten, das dampfend warme Wasser zu sehen und zu wissen, auf einem aktiven und unberechenbaren Vulkan zu stehen, dessen letzte Ausbrüche gerade einmal rund 50 Jahre her sind.

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Damals bedeuteten sie das Ende für die zu jener Zeit bereits Forschungszwecken dienende ehemalige norwegische Walfangstation. Deren Überreste haben jedoch bis heute überlebt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Ruinen heute von Robben bewohnt werden. Den Tieren also, die hier, neben den Walen, über Jahrzehnte abgeschlachtet wurden.

Zu nah sollte man sich den Gebäuden nicht nähern, keinesfalls sollte man sie betreten. Das mögen sie nicht so, die Fur Seals. Die meisten zwischen den Gebäuden, Tanks und dem Schiffsdock liegenden Exemplare stören sich heute allerdings nicht an der Invasion der orangenen Jacken. Gelangweilt schauen sie herüber, heben allenfalls kurz einmal den Kopf um sich direkt danach wieder dem Müßiggang hinzugeben. Irgendwie ein Stück weit beneidenswert.

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Ein Pinguin Pärchen kommt angehüpft. Die Besucher bleiben stehen, die Pinguine bleiben stehen. Schwer zu sagen, wer hier gerade wen beobachtet. Irgendwann entdeckt einer der Pinguine eine kleine Schneefläche und entscheidet sich für eine spontane Rutschpartie. Ein herrlich menschlicher Anblick. Es sind übrigens Gentoo Pinguine. Ja, ich habe meine Hausaufgaben gemacht!

Die Zeit an Land geht unglaublich schnell vorbei und so schaffe ich es als einer der letzten Passagiere zurück zur Zodiac Station. Bevor man die Boote betreten kann allerdings, kommt erst der Guanomat zum Einsatz: eine Konstruktion aus Haltegriffen und Bürsten, die im Wasser steht. Hier säubert man seine Stiefel, ehe es in die Zodiacs geht.

Zurück zum Schiff, erneut Schuhe desinfizieren, ausziehen und dann – endlich – eine Lage Kleidung nach der anderen öffnen. Das also war er, mein erster Ausflug als Antarktis-Forscher. Sensationell. Kalt aber glücklich, könnte man sagen.

Gegen 17 Uhr dann lichtet der Kapitän den Anker (so er denn einen gesetzt hätte) und fährt langsam aus der Bucht hinaus zurück in den großen Kratersee Port Foster. Anschließend geht es durch die schmale Öffnung von Neptuns Blasebalg zurück auf die Bransfieldstraße.

Kaum haben wir den Krater verlassen, funktioniert auch das Internet wieder tadellos. Scheinbar haben die hohen Kraterränder die Verbindung zum Satelliten behindert bzw. immer nur dann ermöglicht, wenn das Schiff in einem gewissen Winkel stand. Langsam wird alles klar. Und gibt Hoffnung. Auf eine Zeit mit Netz. Yeeha!

Um 18:30 ist erneut ein Briefing angesetzt. Was haben wir heute gesehen? Was erwartet uns morgen? Wann ist welche Gruppe dran? Und wie hat sich die Antarktis überhaupt entwickelt. Spannende Themen einmal mehr und ich muss gestehen, dass ich mich schon lange nimmer so wissbegierig (oder sollte ich sagen nerdig?) erlebt habe, wie zur Zeit.

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Ach übrigens: wie es mir geht, habe ich noch gar nicht erzählt. Besser. Viel besser. Danke für Eure vielen Genesungswünsche. Auf Essen habe ich derweil noch verzichtet, was Treppensteigen angeht, sind wir heute bei – haltet Euch fest, ich kann es selbst kaum glauben aber das iPhone lügt ja nicht – 44 Stockwerken! Meinen Gürtel, den ich vor ein paar Tagen eine Position weiter schnallen musste, kann ich heute ganze zwei Löcher enger tragen. Und der M-Parka, der sitzt, besser geht’s nicht. Nein, bin stolz auf mich.

Zum Abendessen gönne ich mir heute aber mal was. Ein bisserl Brot und ein paar Kartoffeln. Das Ganze im Patio. Draußen. Ein tolles Erlebnis bei einsetzendem leichten Schneefall und vorbeiziehenden, riesigen Eisbergen. Ja, so in etwa habe ich mir das vorgestellt.

Glücklich und zufrieden sitze ich jetzt noch kurz in der Observation Bar, trinke meine Cola zu Ende (hoffentlich die Letzte mit Zucker, meine Zähne tun schon weh. Wie kann man das Zeugs nur trinken?), schreibe diesen Text und werde danach einmal mehr früh zu Bett gehen. Morgen bin ich in der zweiten Gruppe. 9:45 geht es los. Wenn wir pünktlich ankommen. Das hängt von der Anzahl der Eisberge auf unserem Weg ab, und vom Nebel. Ja, ok. Soll er mal langsam machen, der Captain. Eilig haben wir es ja nun wirklich nicht.