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Nach den langen Mühen des juristischen Studiums und des anschließenden Referendariats ist es
Junganwalt J gelungen, eine zeitlich zwar sehr umfängliche, aber dafür hervorragend dotierte
Stelle bei der internationalen law firm Amsel & Drossel zu ergattern. Zunächst sieht J aufgrund
der langen Arbeitstage keine Möglichkeit, seine neu gewonnene finanzielle Freiheit zu nutzen,
hört aber beim Besuch des wöchentlichen Stammtisches „Du und deine Karriere“ ein Gespräch
mit, aus dem hervorgeht, dass es „total wichtig“ sei, dass man sich auch gerade als junger Anwalt
mit erlesenen Rotweinen auskenne, um eine Gesprächsbasis mit den älteren Kanzleipartnern zu
haben. Das zeuge von Geschmack und Stil und nur so komme man auf der Karriereleiter nach
oben. J hat von Weinen keine Ahnung, doch es kommt ihm der Zufall zu Hilfe. Er liest in der
Sonntagszeitung vom 4. Juli 2010 eine Anzeige mit folgendem Wortlaut: „Wine 4 U GmbH –
Werden Sie Weintester und probieren Sie Weine von Welt!“ J ruft daraufhin am 5. Juli 2010 die
angegebene Telefonnummer an. Er spricht mit einem Mitarbeiter (M1) der Wine 4 U GmbH (W),
dem er mitteilt, dass er sich auf die Zeitungsannonce hin melde und gerne Weintester werden
würde. M1 verspricht ihm, dass gleich am nächsten Tag ein weiterer Mitarbeiter (M2) bei ihm zu
Hause vorbeikommen werde, um mit ihm ein Gespräch zu führen, in dem geklärt werden solle, ob
J als Weintester in Frage komme.
Tatsächlich wird J am 6. Juli 2010 von M2 aufgesucht. Doch bereits bevor das Gespräch beginnen
kann, passiert Unvorhergesehenes: Der ansonsten stets zuverlässige, aber äußerst schwergewichtige
M2 stützt sich beim Hinsetzen auf einen Stuhl unbedacht auf den Tisch im Wohnzimmer des
J, wo das Gespräch stattfinden soll, so dass der Tisch unter dem Gewicht zusammenbricht und
vollkommen zerstört wird. J hatte sich erst wenige Wochen vor dem Treffen mit M2 dazu entschlossen,
sich diesen Tisch bauen zu lassen. Der Tisch sollte aber kein Modell „von der Stange“
sein, sondern individuellen Charakter haben. Zu diesem Zweck hatte J fünf in Holz und Verzierung
verschiedene Tische zum Preis von jeweils € 1.000,- gekauft und hatte diese vom Tischlermeister
T zum Preis von € 500,- fachmännisch derart kombinieren lassen, dass von einem Tisch
die Tischplatte und von den übrigen vier jeweils ein Tischbein verwendet worden war. Auf diese
Weise war – wie von J geplant – ein Tisch entstanden, den niemand sonst sein Eigen nennen
kann.
Der M2 stellt J schließlich einige Fragen über seine Weinvorlieben und Weinkenntnisse. Allerdings
wärt dies nur kurz und der M2 teilt dem J mit, dass er noch erheblich mehr Erfahrung mit
Weinen sammeln sollte, und dass dazu das von der W angebotene „Woche für Woche neue Weine
- Spezialangebot“ ideal für ihn sei. Nach anschließendem Verkaufsgespräch schließt J mit der W
schließlich einen Vertrag, nachdem J 48 Flaschen Wein zum Gesamtpreis von € 4.800,- erhalten
soll. Als vertragliche Berechnungsgrundlage wird der Wert jeder Flasche mit € 100,- angesetzt. J
soll wöchentlich eine Flasche Wein nach Auswahl der W zugesandt werden. Pro Kalendermonat
sollen es aber nicht mehr als vier Flaschen sein, so dass sich die Vertragslaufzeit auf ein Jahr erstreckt.
Der Gesamtbetrag von 4800,-€ ist sofort fällig. Dem J wird eine Widerrufsbelehrung unter
Verwendung der Anlage 1 zu Artikel 246 § 2 Abs. 3 Satz 1 EGBGB bei Vertragsschluss in
Textform zur Verfügung gestellt. Die einschlägigen Textbausteine sind dabei korrekt und vollständig
einschließlich der relevanten Daten der W eingefügt. Der Versand soll auf Kosten der W
erfolgen. In der Mittagspause des 7. Juli 2010 zahlt J den Betrag von € 4.800,- auf das Konto der
W bar ein. J ist immer noch sehr verärgert über die Zerstörung seines Tisches am Vortag und
möchte Ersatz für das zerstörte Möbel von der W und teilt dieser den Sachverhalt und sein Verlangen
mit. J beziffert sein Ersatzverlangen auf € 5.500,-, da dies schließlich seinen Kosten für die
fünf Tische und dem Lohn des T entspreche. Die W dagegen meint, sie wäre nicht bereit fünf
Tische zu bezahlen, aus dem lediglich ein fertiger Tisch entstanden sei. Dies sei schließlich die
Entscheidung des J gewesen, und wenn er so ein extravagantes Möbel anfertige lasse, müsse er
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auch mit Abstrichen rechnen, wenn es kaputt gehe. Der objektive Wiederbeschaffungswert des
Tisches beträgt € 3.500,-.
Bereits am 10. Juli 2010 erhält J die erste Flasche Wein per Kurier übersandt, die einen Marktwert
von € 70,- hat. Am 17. Juli 2010 und am 24. Juli 2010 erhält J jeweils eine weitere Flasche
Wein übersandt. Diese Flaschen haben einen objektiven Wert von € 110,- bzw. € 65,-. Nachdem J
die ersten beiden Flaschen getrunken hat, merkt er, dass dauerhafter Weingenuss doch nicht so
recht nach seinem Geschmack ist und zudem die Arbeitstage bei Amsel & Drossel aufgrund von
eintretender Müdigkeit anstrengender als ohnehin schon macht. Infolgedessen besinnt sich J auf
seine Kenntnisse aus dem Studium, wonach „ja jeder Verbraucher bestellte Ware auch ohne Angabe
von Gründen einfach zurückschicken könne und dann mit dem Vertrag nichts mehr zu tun
habe“, und schickt die am 24. Juli 2010 gelieferte Flasche am 26. Juli 2010 unter deutlicher Absenderangabe
an W zurück. Die Flasche kommt trotz geeigneter Verpackung nur mit abgebrochenem
Flaschenhals und ausgelaufen am 27. Juli 2010 bei W an.
Trotz der Rücksendung der Flasche setzt W die Lieferung fort, so dass J am 31. Juli 2010 eine
Flasche Wein im Marktwert von € 70,- erhält, die W am 30. Juli 2010 versandt hatte. Auch am 7.
August 2010 erhält J von W eine weitere Flasche Wein im Wert von € 80,-. J selbst möchte keinen
Wein mehr trinken, bietet die Flasche vom 31. Juli 2010 aber Freunden bei einem Abendessen
am 7. August 2010 an und verkauft die Flasche, die er an diesem Tag geliefert bekommen
hatte, einem seiner Freunde zum Preis von € 100,-. Auch diese beiden Flaschen wurden J – wie
alle übrigen Flaschen auch – ohne weitere Begleitpapiere übersandt. Nach dem 7. August 2010
erhält J von W keine weiteren Flaschen übersandt. Für J allerdings ist die Angelegenheit damit
nicht erledigt. Er wendet sich am 9. August 2010 an die W und verlangt sein zuviel gezahltes
Geld zurück.