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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Das Ringlock-System der Deepsea



Prof. Rolex
13.05.2008, 06:53
Liebe Rolex-Fans,
nachdem am 30.04.08 die Patentanmeldung zum Ringlock-System der neuen Deepsea (Patentanmeldung-Nr. EP 1916576A1, „Boîte de montre-bracelet étanche“) veröffentlicht wurde, möchte ich nachfolgend einige Erläuterungen zur Funktion des Ringlock-Systems geben. Interessanterweise sind in der Patentanmeldung nicht nur die üblichen Angaben zur Konstruktionsweise des neuen Systems, sondern auch Vergleichstabellen geeigneter bzw. ungeeigneter Werkstoffe, sowie der erforderlichen Gehäusehöhen mit und ohne Ringlock-System enthalten. Aber beginnen wir der Reihe nach:

Zunächst ein Bild der bisher üblichen Konstruktion einer Taucheruhr, wobei Rolex in der Patentanmeldung das Gehäuse der Sea-Dweller 16600 als Beispiel verwendet:

http://img.photobucket.com/albums/v463/MatthiasRBO/watches/ringlock-fig1.jpg
(Quelle: EP1916576A1 mit eigenhändigen Ergänzungen)

Die aus dem Wasserdruck resultierenden Kräfte werden vom Saphirglas (3) zum Gehäuseboden (1) über das Uhrengehäuse (5) geführt, welches entsprechend dimensioniert werden muß. Die Dimensionen lassen sich bei einer Uhr mit einer Testtiefe von 1550 bzw. einer zulässigen Tauchtiefe von 1200 m (Sea-Dweller 16600) noch einigermaßen in Grenzen halten, aber bei Tiefen von 4900 (!) bzw. 3900 m würden die Dimensionen kaum noch tragbare Ausmaße erreichen.

Um die Abmessungen einer Uhr für derartig hohe Wasserdrücke trotzdem in tragbaren Grenzen zu halten, muß der Kraftfluß zwischen Glas, Gehäuse und Boden optimiert werden. Dies erfolgt in sehr geschickter Weise durch das Ringlock-System:

http://img.photobucket.com/albums/v463/MatthiasRBO/watches/ringlock-fig2.jpg
(Quelle: EP1916576A1)

Die resultierenden Kräfte werden bei diesem System vom Saphirglas (3), über einen innenliegenden Ring (2) direkt und unter Umgehung des Gehäuses (5) zum Gehäuseboden (1) geführt. Der Kraftfluß verläuft damit senkrecht innerhalb der Zone SR. Somit hat das Gehäuse (5) „nur“ noch die auf ihm selbst und auf der Lünette (9) lastende Wasserkraft zu übertragen, die jedoch aufgrund der kleineren Fläche geringer als die auf dem Saphirglas lastende Wasserkraft ist. Das Gehäuse selbst wird also erheblich entlastet und kann entsprechend dünner dimensioniert werden. Der Gehäuseboden selbst wird durch einen äußeren Ring (6) gehalten, der in das Gehäuse (5) geschraubt wird und die übliche Riffelung für den Rolex-Gehäuseöffner aufweist.

Die Uhr besteht also aus zwei statisch weitgehend unabhängigen Teilbereichen:

1. dem hochbelasteten Innenteil bestehend aus Glas (3), Innenring (2) und Gehäuseboden (1)
2. dem geringer belasteten Außenteil bestehend aus Lünette (9), Gehäuse (5) und Haltering (6)

Da der relativ kleine Innenring nun die gesamte auf das Saphirglas resultierende Wasserkraft übertragen muß, ist ein hochdruckfester Werkstoff erforderlich. Desweiteren wird zur weiteren Bauhöhen- und Gewichtsreduzierung erstmals bei Rolex ein Gehäuseboden aus Titan verwendet. Die nachfolgenden Vergleichstabellen zeigen die geeigneten und ungeeigneten Werkstoffe für Glas und Boden (Tabelle 1), sowie den Innenring (Tabelle 2):

http://img.photobucket.com/albums/v463/MatthiasRBO/watches/ringlock-tab1.jpg

http://img.photobucket.com/albums/v463/MatthiasRBO/watches/ringlock-tab2.jpg
(Quelle: EP1916576A1)

Rolex hat sich für die Verwendung der folgenden Werkstoffe entschieden:

Gehäuseboden: Titan TA6V Grade 5, Titanlegierung mit Vanadium- und Aluminiumanteilen und ca. 4-fach höherer zulässiger Biegebeanspruchung gegenüber Edelstahl AISI 904L (900 zu 250 Mpa) bei gleichzeitig ca. 1,75-fach geringerem Gewicht.

Innenring: Biodur 108, austenitischer Edelstahl mit hohem Stickstoffanteil und ca. 3-fach höherer zulässiger Druckbeanspruchung gegenüber Edelstahl AISI 904L (770 zu 250 Mpa).

Nun stellt sich die Frage, warum für den rein druckbelasteten Innenring nicht Zirkon oder Saphir verwendet wurde, da doch beide Werkstoffe eine wesentlich höhere zulässige Druckbelastung als Biodur 108 aufweisen. Nun, der Innenring muß für die Aufzugswelle eine Bohrung aufweisen, die aber bei einem Stahlring wesentlich einfacher zu realisieren ist, als bei einem Ring aus sehr hartem Zirkon oder Saphir.

Aber auch Titan weist eine höhere zulässige Druckbelastung als Biodur 108 auf, warum wurde für den Innenring dann nicht Titan als Werkstoff ausgewählt? Die Antwort gibt ein Blick auf den Elastizitätsmodul von Titan, der wesentlich kleiner als der von Biodur 108 (114000 zu 195000 Mpa) ist. Somit würde der rein druckbelastete Innenring aus Titan größeren Verformungen unterliegen, die dann wieder mit einer größeren Bauhöhe kompensiert werden müssten. Übrigens wäre Biodur 108 als Werkstoff für den Gehäuseboden selbst wiederum ungeeignet, da die zul. Druckbeanspruchung zwar sehr hoch, dafür aber die für den Gehäuseboden maßgebende zulässige Biegebeanspruchung gering ist.

Wie Ihr seht, ist nicht nur die Konstruktion der Deepsea, sondern auch die Werkstoffauswahl ausgesprochen komplex. Abschließend kommen wir nun zu der entscheidenden Vergleichstabelle, die die Bauhöhen von Deepsea (zul. Tauchtiefe 3900 m, Testtiefe 4900 m) und Sea-Dweller (zul. Tauchtiefe 1200 m, Testtiefe 1550 m) jeweils in konventioneller Technik und unter Anwendung des Ringlock-Systems aufzeigt:

http://img.photobucket.com/albums/v463/MatthiasRBO/watches/ringlock-tab3.jpg
(Quelle: EP1916576A1)

Die Zeilen zeigen von oben nach unten die Bauhöhen von Glas, Gehäuseboden, Innenring und die Gesamtbauhöhe der Uhr. Die Spalten zeigen von links nach rechts:

1. Eine spezielle Sea-Dweller 16600 mit Ringlock-System
2. Die Deepsea mit Ringlock-System, wie sie in Basel vorgestellt wurde
3. Die allseits bekannte Sea-Dweller 16600 ohne Ringlock-System
4. Eine Deepsea ohne Ringlock-System

Wäre die Deepsea ohne das Ringlock-System in der gleichen Weise wie die Sea-Dweller 16600 konstruiert worden, so hätte allein die Dicke des Gehäusebodens 5 mm und die gesamte Gehäusedicke 19,7 mm (!) betragen. Durch das Ringlock-System sind bei der Deepsea also insgesamt 2,02 mm Gesamthöhe eingespart worden. Bei einer Sea-Dweller 16600 ließen sich mit dem Ringlock-System aufgrund des geringeren Wasserdruckes allerdings nur 1,02 mm Gesamthöhe sparen.

Der Aufwand zur Realisierung der Deepsea ist sowohl konstruktiv, als auch werkstofftechnisch sehr hoch und macht aus einer „profanen Taucheruhr“ ein absolutes High-Tech Produkt.

Viele Grüße
Matthias

newharry
13.05.2008, 07:15
Herzlichen Dank für die großartige Aufbereitung und die damit verbundene Mühe! =) =) =)

Mawal
13.05.2008, 07:47
oh...es wird keine goldene Deep Sea geben...wie schade...

Pille
13.05.2008, 08:13
Wie immer klasse aufbereitet! Danke für Deine Bemühungen, Matthias :gut:

watchman
13.05.2008, 08:21
:verneig: :verneig: :verneig: DANKE ! :verneig: :verneig: :verneig:

Moehf
13.05.2008, 09:16
Wow, danke für die Info.
Hört sich teuer an die Verwirklichung...






















...ach so, ist ja auch sauteuer... :-)

fleckinet
13.05.2008, 09:47
Super erklärt, schön wenn man einem Uhren "uninteressierten" auch mal das Preis-Leistungsverhältnis erklären kann, zumindest ansatzweise...

Matthias:
Gibt es so einen Schnitt auch von der GMT?

Danke!

alicia
13.05.2008, 10:02
Vielen Dank für den tollen Bericht :verneig:

jagdriver
13.05.2008, 10:06
Ja, besten Dank Prof. Rolex - das hätte ich der Neuen gar
nicht zugetraut.

Aber wahrscheinlich interessieren diese technischen Neuerungen
außerhalb diversen Uhrenforen kein Mensch.

Gruß
Robby

Hr.Nitsche
13.05.2008, 10:25
WOW. Da spricht der Ingenieur. Sehr schön aufbereitet :gut:

OrangeHand
13.05.2008, 10:54
Danke Mathias für die sehr gute Zusammenfassung der Patentanmeldung. :verneig:

Es lohnt sich scheinbar in den Wochen nach Basel öfters in den Veröffentlichungen nachzuschauen. :gut:


Übrigens wird Rolex wohl den Hauptanspruch ändern müssen, wenn man von der im Recherchenbericht zum Ausdruck gebrachten Auffassung des zuständigen Patentprüfers ausgeht. Dem Recherchenbericht zu Folge scheint dieser Hauptanspruch nicht patentfähig zu sein. ;)

Muigaulwurf
13.05.2008, 13:02
Wow danke, sehr schön erklärt :gut:

Wo bzw wie wird dann eigentlich der Boden abgedichtet? Ist die Pos.7 eine Dichtung? Zwischen dem "Aussen-" und dem "Innenring" ist aber keine weitere Abdichtung, odeR?

cardealer
13.05.2008, 13:10
Wow danke fürs erklären :verneig: :verneig:

Armando
13.05.2008, 13:31
DANKE
:verneig: :verneig: :verneig:

ulfale
13.05.2008, 13:41
Obwohl ich auf der Leitung stehe, klingt das ganze nicht uninteressant!

PCS
13.05.2008, 14:11
Oh! Da habe ich heute Abend was zum schmökern. Schon jetzt vielen Dank. :verneig:

oyster
13.05.2008, 14:45
Super Info :gut: Danke



Aber wie ist das 904 L Bodenaussenteil mit dem Titanbodenmittelteil verbunden? :grb: :grb: :grb: :grb:
Geklebt, geschweißt .....
Anscheinend hat ja nur der Stahlrand ein Gewinde!

Stahl und Titan dauerhaft (spannungsfrei) zu verbinden :grb:
Oder da ist wirklich Luft zwischen, so wie es in der Zeichnung aussieht und der Titanboden wird nur durch der Stahlreif angepresst ......




http://img179.imageshack.us/img179/9608/bild7wd6.jpg

THX_Ultra
13.05.2008, 16:11
Großartig, bin schwer begeistert - DANKE Matthias :gut:

Btw. gute Frage mit dem Spalt... 8o

Prof. Rolex
13.05.2008, 17:01
Original von oyster
Aber wie ist das 904 L Bodenaussenteil mit dem Titanbodenmittelteil verbunden? :grb: :grb: :grb: :grb:
Geklebt, geschweißt .....
Anscheinend hat ja nur der Stahlrand ein Gewinde!

Stahl und Titan dauerhaft (spannungsfrei) zu verbinden :grb:
Oder da ist wirklich Luft zwischen, so wie es in der Zeichnung aussieht und der Titanboden wird nur durch der Stahlreif angepresst ......
http://img179.imageshack.us/img179/9608/bild7wd6.jpg
Diese Frage habe ich mir auch schon gestellt.

Im Moment gehe ich davon aus, daß es keine feste Verbindung zwischen Gehäuseboden (1) und Haltering (6) gibt. Durch den eingeschraubten Haltering (6) wird der Gehäuseboden (1) gegen den Innenring (2) gedrückt, wobei auch die Dichtung (7) zwischen Gehäuse (5) und Boden (1) unter Spannung gesetzt wird.

Die Anpresskraft des Bodens durch den Haltering wird dabei aber nicht nur durch das Gewinde, sondern auch durch die spezielle Form des Halteringes erzeugt. Durch den „Spalt“ zum Boden wirkt der Haltering zusätzlich wie eine Ringfeder, die den Gehäuseboden an den Innenring drückt und die Dichtung gleichzeitig unter Spannung setzt. Wasserdicht wäre die Uhr also auch ohne eine feste Verbindung von Boden und Haltering.

Ob dies aber tatsächlich so ist, werden wir wohl erst genau wissen, wenn der erste Deepsea-Besitzer den Haltering aufschraubt und dann den „losen“ Boden und den Haltering in Händen hält……

Gruß
Matthias

oyster
13.05.2008, 17:21
:grb: :grb: :grb:

da bin ich mal gespannt, ich bin zwar kein Fachmann auf dem Gebiet, aber mein Bauchgefühl, sagt mir:
3 unterschiedliche Metalle, mit 3 unterschiedlichen Temperaturkoeffizienten!

Ob das gut geht?

Sicher wird Rolex das länger getestet haben, aber für mich hört sich das nach "der Achillessferse" der Uhr an.

Da hätte ich lieber eine 3mm dickere Uhr gehabt, oder das ganze Ding aus Titan X(
als einen mehrteiligen Boden.
Den hatte ich mal bei einer Sinn UX und leider auch die daraus resultierenden Probleme :motz:

Muigaulwurf
13.05.2008, 17:25
Die Abdichtung macht aber nur Pos.7 oder?

Prof. Rolex
13.05.2008, 17:44
Original von Muigaulwurf
Die Abdichtung macht aber nur Pos.7 oder?
Was den Gehäuseboden angeht ja, aber wir dürfen das Glas nicht vergessen, für dessen Abdichtung die Dichtung (4) zuständig ist.

Gruß
Matthias

jochen_1962
14.05.2008, 13:52
das ist ein konstruktionsthema für leute mit hintergrundwissen:

der titanboden wird mit sicherheit nur eingesetzt :op:.

ein ungeschriebenes gesetz im maschinenbau besagt, daß man bei der montage dichtungen keinen drehbewegungen aussetzen darf, da sonst die korrekte lage der dichtung (bei der montage -also einschrauben- des bodens) nicht prozesssicher gewährleistet ist.
würde die dichtung verdrückt oder verquetscht, bevor das innenteil seine vorgesehene lage erreicht hat, wäre undichtigkeit die folge. undichtigkeit mit meerwasser bedeutet einen fast-totalschaden !

newharry
14.05.2008, 14:28
Original von jochen_1962
ein ungeschriebenes gesetz im maschinenbau besagt, daß man bei der montage dichtungen keinen drehbewegungen aussetzen darf, da sonst die korrekte lage der dichtung (bei der montage -also einschrauben- des bodens) nicht prozesssicher gewährleistet ist.


Wird aber nicht bei jedem bei Uhren herkömmlichen Schraubboden die Bodendichtung einer Drehbewegung ausgesetzt?

PCS
14.05.2008, 21:36
Eigentlich schon. :grb:

husi
15.05.2008, 09:32
Die von Jochen geäußerte Befürchtung (keine Drehbewegungen auf Dichtungen wirken lassen)
hat schon ihre Richtigkeit.

Aber:
Der nach dem Verschrauben der abzudichtenden Teile verbleibende Raum wird
konstruktiv so bemessen, dass er die gepresste Dichtung raumfüllend aufnimmt,
ohne dass diese bei der letzten Schraubbewegung mechanisch beschädigt werden kann.

Es geht knapp zu - aber das sorgt für zuverlässige Abdichtung.

Ein Öffnen solcher abgedichteten Bauteile erfordert aber stets neue Dichtungen, eine
Wiederverwendung der Dichtringe sollte vermieden werden.

ehemaliges mitglied
15.05.2008, 13:37
superbericht:verneig:

oyster
15.05.2008, 13:43
Die Dichtungen werden im Übrigen auch bei jedem Öffnen /Schließen der Krone gequetscht, oder gedrückt.

;)