Liebe Foristi,

heute mal ein kleiner Einblick in eine schöne Vintage-Tudor. Vor einigen Monaten sprach mich unser geschätztes Mitglied Miguel an, ob ich mal einen Blick auf seine Date Day werfen könnte. Im Vergleich zu seinen Vintage-Rolex zeigte die Uhr eine deutlich verminderte Gangreserve und blieb teilweise schon nach einem halben Tag stehen.

Da ich noch nie an einer Date Day gearbeitet hatte sagte ich gerne zu, da gab es bestimmt was zu lernen. Und ich wurde nicht enttäuscht. In der Uhr tickt ein Tudor 1895-Werk, das ist sozusagen ein von Tudor leicht getuntes AS 1895. Dieses Werk hat eine interessante Architektur. Hier mal ein Blick auf das nach der Reinigung wieder montierte Räderwerk. Wie bei den modernen Rolex-Werken besitzt es ein zentral angeordnetes Sekundenrad, das Minutenrad sitzt außermittig. Was gleich auffällt ist ein zusätzliches Rad, welches in der Räderwerkbrücke gelagert ist (im Bild oberhalb des Kronrads). Dieses hat allerdings nichts mit dem Räderwerk zu tun, es handelt sich um das letzte Zwischenrad der Automatik. Es greift anders als bei den meisten Automatik-Werken nicht direkt in das Sperrrad ein, sondern in das Kronrad. Das ist zwar etwas indirekt, erlaubt aber eine sehr kompakte Bauweise der Automatik und somit einen sehr guten Gesamtkompromiss zwischen Federhausgröße, Unruhgröße, Werkhöhe und Automatikleistung.


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Hier ein Blick auf die Zifferblattseite. Keine Besonderheiten beim Zeigerstellmechanismus, links daneben sieht man das Minutenrohr.


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So interessant die Arbeit an Vintage-Uhren ist, so nervig kann die Ersatzteilsituation sein. In diesem Fall war es (fast) unmöglich ein so banales Teil wie eine neue Zugfeder aufzutreiben (die alte hatte scheinbar eine Vorschädigung und war beim Wiedereinbauversuch gebrochen). Erstmal war die laut Flume-Liste benötigte Feder nur für Gewerbetreibende bestellbar. Diese Hürde ließ sich dank Forum (Michi, Steffen ) umschiffen. Dann stellte sich aber leider heraus, dass da wohl ein Fehler in der Liste vorliegt, die dort als Ersatzteil genannte Feder brachte nur 180 Grad Amplitude. Eine geeignete Automatikfeder fand sich zwar in den Listen von Cousins und Westphal, beide waren aber nicht lieferbar. Irgendwann bin ich dann in der kanadischen Bucht über eine Original Tudor 1895-Zugfeder gestolpert (Shipping doppelt so teuer wie das Teil ). Gekauft, ein paar Wochen auf die Post gewartet und eingesetzt.


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An dieser Stelle fand sich dann auch der Grund für die verminderte Gangreserve. Die Verzahnung des Federhauses war leicht beschädigt (das kann eigentlich nur beim letzten „Service“ passiert sein, im Betrieb fällt mir keine Konstellation ein, die sowas verursachen könnte). Bei Vollaufzug lief die Uhr noch normal, bei etwas abgelaufener Zugfeder war das Drehmoment dann zu gering, um die schadhafte Stelle der Verzahnung „mit Gewalt“ weiterzudrehen und das Werk blieb hängen. Also mit feinstem Schleifpapier die Grate entfernen und einbauen. Dann kommen die Brücke, das Sperrrad und die Klinke hinzu.


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Als nächstes wird die kleine Automatikbaugruppe vormontiert. Zwischen den beiden Platten befinden sich die Automatiksperrklinke nebst Feder und das Kupplungsrad.


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Und da kommt die Baugruppe rein. Nach der Montage greift dann das Kupplungsrad in das bereits erwähnte Zwischenrad ein. Zwischenzeitlich wurden auch Anker und Unruh wieder montiert.


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Jetzt fehlt noch die Verbindung zum Rotor. Diese stellt ein weiteres Zwischenrad her, welches auf den kleinen Stehbolzen aufgesteckt und mit einer Platte gesichert wird. In dieses Rad greift dann später das an der Unterseite des Rotors befindliche Ritzel ein. Eine etwas abenteuerliche Konstruktion, aber was soll’s, funktioniert ja. Alles in allem eine sehr kompakte Bauweise, allerdings auch nur einseitig aufziehend.


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Weiter geht’s auf der Zifferblattseite. Das Minutenrohr und das Wechselrad werden montiert. Gegen die Achse des Wechselrads drückt eine kleine Friktionsfeder, um das Zahnspiel aus dem System zu nehmen.


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Abdeckplatte und Stundenrad oben drauf.


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Als nächstes der etwas wild aussehende Hebel für die augenblickliche Datumsschaltung.


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Dieser wird über einen auf der Unterseite des Datumsrads befindlichen Zacken angesteuert. Der Finger an der Oberseite des Datumsrads betätigt die Tagesscheibe. Dann kommen noch die starke Feder für die augenblickliche Datumsschaltung und die Raste für die Tagesscheibe hinzu.


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Es folgen die Datumsscheibe, ihre Raste (im Bild bei der 29) und die zugehörige Feder.


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Datumsbrücke obendrauf. Hier sieht man schön, wie sich die lineare Feder der Tagesscheibenraste am inneren Rand der Brücke abstützt.


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Die Tagesscheibe von unten. Der Stern wird sowohl von der Raste benutzt um die Scheibe in korrekter Position zu halten, als auch vom Schaltfinger, um die Scheibe weiterzudrehen. Eine einfache, solide Konstruktion, die für die Tagesscheibe natürlich „nur“ eine schleichende Schaltung realisiert, keine augenblickliche.


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Und mit aufgelegter Scheibe.


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Dann kommen Blatt und Zeiger wieder drauf. Das Blatt wird wie bei Rolex mit 2 seitlichen Schrauben gesichert. Hier das Bild nach dem Gangreservetest. Nach Vollaufzug blieb die Uhr nach 45 Stunden stehen. Damit kann man doch arbeiten.


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Noch ohne Werk kurzer WaDi-Check. Keine Luftblasen, alles gut.


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Rein mit dem Werk und noch den kugelgelagerten Rotor raufgeschraubt. An der Stelle fiel mir eine mögliche Erklärung für die beschädigte Verzahnung des Federhauses auf. Diese befindet sich unmittelbar neben einer Werkhalteschraube. Wenn man da mit dem Schraubendreher abrutscht ist das gleich passiert. Würde auch ins Gesamtbild passen. Im Inneren fanden sich 2 arg ausgeschlagene Schraubenköpfe und auch das Caseback weißt deutliche Kampfspuren von unsanften Öffnungsversuchen auf.


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Nach einem 24 Stunden-Test hatte die Uhr 3 Sekunden verloren, also noch ein bisschen nachjustieren (und sich über die schöne Amplitude freuen).


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Fertig.


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Eine tolle Uhr, wenn mir sowas mal in gutem Zustand über den Weg laufen sollte: Klarer Kauf. Mit 38 mm hat sie imho eine ideale Größe. Das Werk kommt vielleicht nicht ganz an ein Rolex 1555 ran, ist aber solide und präzise gearbeitet und stammt offensichtlich noch aus der Zeit, bevor die Betriebswirte die Kontrolle übernommen haben. Und speziell Miguels Uhr hat eine wunderbare Ausstrahlung. Blatt, Zeiger und Case mögen nicht perfekt sein, aber sie erzählen die Geschichte eines 50 Jahre währenden Uhrenlebens. Und die Geschichte geht weiter.


Miguel: Deine Uhr ist fertig, kannst abholen. Allerdings hat das Solino inkl. der netten Bedienung Sommerpause.


Gruß

Erik