Aus der Serie: Krapfen für Sonderlinge. Heute: Ressence

Alles fing an vor etwa 2 Jahren, da saß ich im Palast eines meiner Lieblingsforis und wir redeten Quatsch über Uhren. Irgendwann meinte er, daß er mir eine Uhr in einer Zeitung zeigen wollte, die er sich evtl. zulegen wollte. Ich bereitete mich schon geistig vor auf eine weitere schnarchlangweilige Patekrolexaudemars, aber dann zeigte er mir einen Artikel über die kleine Schweizer Marke Ressence. Kannte ich bis dato nicht, hab mich kurz eingelesen - und wußte: so eine muß ich irgendwann mal haben!

Warum, will ich euch erklären anhand meines Neuzugangs, der mich heute nach einer monatelangen Odyssee endlich erreichte: Einer Ressence Type 1, genauer gesagt: einer der letzten Neuuhren dieses Typs, die noch zu haben war.

Generell muß ich sagen, daß mein Interesse an den Standarduhren, die man auf den Treffen so sieht, ziemlich abgelöscht ist. Ich hab jetzt 10 Jahre lang keine Rolex besessen und nur Michis 1803 von neulich konnte diese Glückssträhne beenden. Es kamen dafür zunehmend unbekanntere Uhren dazu, mein Interesse an indepent watchmakers wuchs, parallel dazu aber auch die Erkenntnis, daß mir für das Sammelfeld so bissi das Spielgeld fehlt. Bis auf 2 Benzinger und eine Moser kam da bislang nicht viel in Frage für mich Aber egal.

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Und das ist sie, meine Ressence.

Was sehen wir auf dem Zifferblatt: der ganz große "Zeiger", der auf die Hauptscheibe gedruckt ist, zeigt die Minuten an. Man kann diese an der umlaufenden, starren Lünette gut ablesen. In der großen, sich drehenden Hauptscheibe sind wiederum weitere Scheiben am Werk, die die Stunde (Scheibe mit 1-12, bzw. bis Handlogo), die Sekunde (kleine Scheibe mit den 12 Indizes) und Wochentag und Tageszeit ( Scheibe mit den 7 Segmenten, die 5 vollen sind Montag-Freitag, die unausgefüllten Samstag und Sonntag - zeigt der Zeiger auf die erste Hälfte des Segments, ists vor 12)


Jaja, ich weiß: "für das Geld hätte man auch ne Daytona bekommen", mag ja alles sein. Aber ich will euch kurz schreiben, warum ich ganz persönlich nicht umhinkam, das Ding zu kaufen.

Erstens: der Eier-aus-Stahl Move seitens des Herstellers, keinen Firmennamen aufs Zifferblatt zu schreiben. Bitte, wie cool ist das denn?? Der Entwickler vertraut in einem Markt, in dem nix wichtiger ist als Markenname und Markennamenstrahlkraft, völlig zu Recht darauf, daß ein Kenner allein anhand der einzigartigen Zifferblatt-Anordnung erkennt, was er da vor sich hat. Ein Laie hingegen weiß garnichts. Ich mag codierte Statussymbole.

Zweitens: alles stand auf dem Prüfstand und wurde neu interpretiert. Die Uhr hat keine Krone und keine Zeiger. Und ist dennoch perfekt bedienbar und eindeutig ablesbar.

Verstellt und aufgezogen wird diese Automatikuhr übrigens durch diesen Griff im Deckel der Uhr:

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Drittens, Und das ist für mich vielleicht der spannendste Aspekt: ich mag den philosophischen Ansatz hinter der Idee des in sich beweglichen Zifferblattes. Die Uhr verändert ihr Gesicht mit der vergehenden Zeit. Sie sieht immer anders aus und ändert ständig ihre Konstellation. Den Gedanken finde ich schön. Und er ist fein umgesetzt.

Wie sich die einzelnen Scheiben bewegen, kann man hier in diesem kleinen Video sehen:

https://www.youtube.com/watch?v=xA7G7EAIyqk

Interessant hierbei: Grundlage ist ein handelsübliches ETA-Werk. Was auch dafür sorgt, daß die Uhr nicht 6-stellig kostet, sondern für einen LP von rund 17.000 zu haben ist.

Und schließlich: ich finde sie vom Design her absolut gelungen. Jedes Detail stimmt. Häufig legen unabhängige Uhrmacher und Entwickler eher wenig Wert auf Gestaltung. Das Aussehen der Uhr ordnet sich gern mal völlig unter, es geht rein um die verbaute Technik. Manchmal fehlt auch schlichtweg die Kapazität, einen Designer beschäftigen zu können. Und da werden dann munter Fonts und Styles gemischt, Schwarzwalduhrenzeiger in moderne Gehäuse verbaut, gebläuter Zeiger hier, römische Font da, Serifen dort, arabische Ziffern da hinten, jegliche Regeln von Eleganz und Proportion mit Füßen getreten. Gern ist auch mal ein reiner Techniker am Start, den Design schlichtweg gar nicht interessiert oder der Hersteller will sich seiner Klientel andienen, die er qua nötiger Finanzkraft gern mal im Nahen Osten oder im Hip-Hop verortet und entsprechend tief ins Opulenzfaß greift. Viele wollen auf Nummer Sicher gehen und verpacken ihre spektakuläre Technik in völlig biedere, althergebrachte Formen, um den Kunden nicht zu verschrecken - oder erschaffen im Gegensatz dazu derartige Out-Of-Space Objekte, daß diese zwar interessant, aber eben kaum alltagstauglich sind. Ressence hat hier in meinen Augen alles richtig gemacht, die Formensprache spricht mich sehr an und die Uhr ist ebenso schmückend wie alltagstauglich.

So sieht sie dann am Arm aus:

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Paar Fakten: Betrieben wird die Uhr durch ein Automatikwerk, das Gehäuse ist aus Titan und das Band ist aus dunkelblauem Pferdeleder. Die Uhr ist spritzwassergeschützt. Der Durchmesser beträgt 41 mm, ich schätze sie auf 9 mm Höhe. Es gibt, wenn ich recht informiert bin, 250 Stück davon.

Gibts noch weitere Ressences hier? Dann freu ich mich auf Bilder.