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  1. #1

    Certina und die Tektite Experimente

    Das interessante an Vintage-Uhren ist ja die Geschichte hinter dem jeweiligen Modell. Sei es die Geschichte der Marke, wie, wann und warum ein Modell auf den Markt kam. Wurde es vielleicht zu einem speziellen Anlass (Stichwort «Moonwatch») getragen?
    Vor ca. 10 Jahren hat mich der Vintage-Virus mit der Uhr meines Vaters gepackt und ich fing an zu recherchieren. Wenn ich heute meinen Thread dazu lese und weiss wohin mich diese Reise geführt hat muss ich doch etwas schmunzeln… https://forum.watchtime.ch/viewtopic.php?f=11&t=1593.

    Im Zuge dieser Recherchen durfte ich viele interessante und hilfsbereite Menschen kennen lernen. Viele zwar nur virtuell, sei es per E-Mail oder in Foren, aber andere auch im echten Leben. Daraus ergaben sich interessante Treffen. Höhepunkte waren hier sicher einige Treffen mit den Leuten von Certina, daraus hat sich schlussendlich ja auch eine Partnerschaft ergeben, aber auch das Treffen mit Max Eiselin, dem Expeditionsleiter der Dhaulagiri-Erstbesteigung von 1960 war ein einmaliges Erlebnis: https://forum.watchtime.ch/viewtopic.php?f=11&t=64740.

    Die Geschichte von Max und seinen Mitstreitern ist sicher einer der Höhepunkte in der Certina Geschichte weshalb ich auch mehr darüber in Erfahrung bringen wollte. DER Höhepunkt dürfte wohl aber das Kapitel «Tektite-Experimente» sein. Tektite I war ein staatliches Unterwasserexperiment, welches 1969 in der Lameshur-Bucht bei St. John, östlich von Kuba stattfand. Durchgeführt von der U.S. Navy, der NASA und dem amerikanischen Innenministerium in Zusammenarbeit mit General Electrics, lebten während dieser 60 Tagen vier Aquanauten in dem Unterwasser-Habitat in 15 Metern Tiefe. Ziel des Experiments war neben der Erforschung des Meeresgrunds auch das Studium des Verhaltens der Wissenschaftler unter diesen Bedingungen. Schließlich haben das Erforschen der Ozeane und des Weltalls viel gemeinsam. Wie Astronauten arbeiten Aquanauten während ihrer Stunden im Wasser mit verringerter Schwerkraft und müssen über längere Zeit auf engstem Raum zusammen leben.
    Certina und Rolex rüsteten einige Aquanauten und andere Mitglieder von Tektite mit Taucheruhren aus um sie in der Praxis unter diesen extremen Bedingungen zu testen.


    Copyright stjohnhistoricalsociety.org

    Certina stellte seine damalige Top-Taucheruhr, die DS-2 Super PH500m Referenz 5801 123 zur Verfügung. Diese wurde bezüglich 13 Punkten bewertet und erhielt sechsmal die Note „sehr gut“, fünfmal „gut“ und zweimal „befriedigend“. Das «befriedigend» betraf das Band und den Verschluss, wobei ich nicht weiss für welches Band das galt, da anhand der Fotos davon ausgegangen werden kann, dass Exemplare mit Stahlband und Tropic-Band getestet wurden.



    Das Tektite I Projekt verlief so erfolgreich, dass die US-Wissenschaftler die beiden fünfeinhalb Meter hohen (Durchmesser jeweils vier Meter) und durch einen Tunnel verbundenen Tauchzylinder ein zweites Mal in der Great Lameshur Bay versenkten. Beim Tektite II Projekt, welches 1970 durchgeführt wurde, bewohnten fünf Aquanauten durchschnittlich jeweils zwei Wochen das Unterwasserhaus und schwärmten von dort zu Tauch-Exkursionen aus. Gemäss einem Artikel aus der Certina Echo stellte man diesmal den neu erschienenen Nachfolger, die Super PH 1000M, zur Verfügung. Aufgrund von Fotos aus dem National Geographic kann davon ausgegangen werden, dass neben dem Habitat aber auch die Certina Super PH 500M wieder verwendet wurde. Vielleicht benutzten einige Aquanauten welche schon in Tektite I mit von der Partie waren nochmals ihre liebgewonnene 500er? In der sechsten von insgesamt zehn Missionen von Tektite II wurde erstmals ein reines Frauen-Tauchteam unter der Führung der bekannten Meeresbiologin Dr. Silvia Earle eingesetzt.

    Auch zu dieser Geschichte stellte ich einige Nachforschungen an. So konnte ich zum Beispiel anhand des oben gezeigten Artikels und von Fotos aus Magazinen belegen, dass die 500er und nicht, wie anfangs in der Certina Historie beschrieben, die Super PH1000m in Tektite 1 verwendet wurde. Natürlich versuchte ich zwischendurch auch mal Kontakt zu damaligen beteiligten Personen herzustellen. Leider blieben diese Versuche aber erfolglos und aufgrund der räumlichen Distanz verfolgte ich das auch nicht allzu hartnäckig.


    Copyright Life Magazine

    Umso erfreuter war ich als mich, Mitte Dezember des letzten Jahres, ein Herr namens Ian G. Koblick kontaktierte welcher sich als Aquanaut bei Tektite I und II heraus stellte. Ian war bei Tektite 1 Backup-Aquanaut und bei Tektite 2 Projektmanager und Programmkoordinator. So kam es, dass ich ihn mit meinen Fragen löchern konnte und einige Lücken geschlossen werden konnten. Ian war ausserdem so freundlich und liess mir einige Tektite-Memorabilia zukommen welche meine bestehende Sammlung super ergänzen.



    So. Hier könnte die Geschichte ja eigentlich fertig sein, oder? Aber da war doch noch was… Ach ja, da war ja noch seine Certina. Habe ich schon erwähnt, dass er sie verkaufen wollte? Er hatte mich kontaktiert um herauszufinden wie viel er dafür etwa verlangen konnte. Interessanterweise stiess ich zu dieser Zeit zufällig auf folgenden Artikel, den ich euch nicht vorenthalten möchte: http://rolexpassionreport.com/23018/...f-ian-koblick/. Ihr könnt im Artikel von Philippe auch viel über Ian und sein abenteuerliches Leben erfahren, deshalb wiederhole ich das hier nicht nochmals. Er hat sozusagen einen Grossteil seines Lebens unter Wasser verbracht und zu seinen Freunden zählten Jacques Piccard, Scott Carpenter usw.
    Ian hatte also neben der Certina auch noch eine Rolex erhalten. Er hat mir erzählt, dass er die Rolex hauptsächlich für die repräsentativen Anlässe trug, seine Arbeitsuhr welche er bei den Taucheinsätzen, auch nach Tektite, benutzte war aber die DS-2 Super PH500m.

    Ian schickte mir auch noch einige Fotos wo er die Uhr während Tektite trägt. Eines meiner Lieblingsbilder ist folgendes:


    Courtesy of Ian G. Koblick

    Ich bat ihn auch mir ein Foto zu schicken wo er die Uhr aktuell trägt. Zwischen den Fotos liegen 47 Jahre.


    Courtesy of Ian G. Koblick

    Was soll ich sagen... Wir wurden uns schlussendlich handelseinig und die Uhr trat ihren Weg zu mir an. Und so ging am Ende ein Traum in Erfüllung von dem ich es nie erwartet hätte; eine der original Tektite-Certina-Uhren zu besitzen!

    Es gab ursprünglich übrigens wahrscheinlich nur zwei oder drei Exemplare der 500er welche bei Tektite getestet wurden. Über den Verbleib der anderen Uhren weiss ich bisher nichts. Ian war so freundlich einige seiner ehemaligen Mitstreiter anzufragen. Daraus hat sich bisher aber (noch) keine neue Kenntnis ergeben.

    So kam die Uhr nach ihrer dreitägigen Reise aus Florida bei mir an:





    Man sieht; die Uhr wurde benutzt. Definitiv kein Deskdiver sondern eine Toolwatch mit Geschichte. Und das soll und darf man der Uhr ja auch ansehen. Zifferblattseitig scheint mal Feuchtigkeit vorhanden gewesen zu sein. Das Werk, ein 25-651 schaute sauber aus, die Krone liess sich noch verschrauben und Drehring funktionierte auch. Bei dieser Konstruktion muss man den Drehring herunter drücken um ihn zu drehen, ansonsten ist er verriegelt. Wenn man die Krone drehte, entstand jedoch ein hässliches malmendes Geräusch. Die Dichtungen waren nur noch klebriger Brei. Ich habe zuerst also mal die Reste der Bodendichtung entfernt. Danach ging es ab zum Uhrmacher des Vertrauens. Das Gehäuse sollte natürlich unangetastet bleiben, ist ja schliesslich ein Zeitzeuge. Höchstens ein bisschen reinigen. Aber technisch sollte sie wieder einwandfrei funktionieren.

    Heute konnte ich die Uhr wieder abholen. Das Werk war trocken gelaufen und mein Uhrmacher musste einige Teile ersetzen. Rost war aber weder im Werk noch unter dem Zifferblatt vorhanden. Das Werk läuft wieder als ob es frisch aus dem Laden kommt. Ein richtiger Certina-Traktor halt! Danach habe ich sie aussen noch etwas gereinigt. Hier nun ein paar Bilder der revidierten Uhr:





    Das folgende Bild stammt aus dem True Magazin, Ausgabe September, von 1969. Auf dem Bild seht ihr links Ian G. Koblick mit seiner, also ich meine natürlich meiner :mrgreen: , Certina DS-2 Super PH500m. Er trägt sie hier übrigens am rechten Arm. Ian ist Linkshänder.



    Nun, was soll ich sagen? Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine der Tektite-Uhren mein Eigen nenne. Für mich sind die Tektite-Experimente für Certina das, was für Omega die Mondlandung war… Ja ich weiss, das ist jetzt etwas hoch gegriffen, aber ihr wisst sicher was ich damit sagen will. Und dass diese Uhr, eine der historisch gesehen wertvollste Certina überhaupt, mein "Holy Grail", nach fast 50 Jahren jetzt meinen Weg gekreuzt kann doch fast kein Zufall sein oder?

    Die Sechzigerjahre ware sowas wie die Blütezeit dieser Unterwasser-Experimente. Dank dieser machte man enorme Fortschritte in der Tauchtechnik. Viele Erkenntnisse flossen später aber auch in die Weltraumfahrt ein. Die kollegiale Nähe zwischen Aqua- und Astronauten erreichte einen Höhepunkt im August 1965, als der US-Astronaut Gordon Cooper per Funk Kontakt mit seinem ehemaligen Kollegen Scott Carpenter aufnahm. Cooper kreiste damals in der Raumkapsel "Gemini 5" gut 240 Kilometer über der Erde, während Carpenter, mittlerweile Aquanaut, 62 Meter unter Wasser vor der Küste Kaliforniens im Habitat "Sealab II" saß.



    Diese Uhr ist vielleicht die letzte noch vorhandene DS-2 Super PH500m welche bei Tektite benutzt wurde...
    Geändert von alinghi74 (09.02.2017 um 17:28 Uhr)

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