Liebe römische Unterschichtler!
Nun war es also soweit, meine wunderbare Daytona hatte ihre erste schwere Prüfung zu
bestehen: Der Gang zur Seelsorge, der Gang in die Niederungen des deutschen Geistes,
der Gang zum Arbeitsamt!
Tatort: Arbeitsamt Hamburg Mitte, Norderstrasse
Beschwingt und kurzärmlig trat ich in die Hölle der deutschen Wohlfahrt ein. Outfit war
der Situation angemessen: Olive Maharishi Hose, Chucks weiss low, Nudie T-Shirt, die
M-65 Feldjacke über dem Arm, die weisse Daytona extrem lockerlässig am Handgelenk
baumelnd, ich war der Star der krankenden deutschen Wirtschaft, ich war das Aushänge-
schild des ästhetisch gesunden deutschen Arbeitslosen, ich war der Sehende unter all
den blinden Globalisierungs-Losern, ich war lässiger als Ed von Schleck in den 80ern,
oh Mann, ich fühlte mich so saugut ...
Erste Prüfung: Da meine Besuche sich auf einen gut auszuhaltenden drei Monatsrythmus
einpegelten, und ich regelmässig vergesse, bei wem, wo, und vor allem in welchem
Stockwerk ich mich zu melden habe, war der erste Gang zum Info-Tisch, oder war es
der Pförtner? Keine Ahnung, egal. Ich also frohgelaunt da hin, eine wartende Mutter
mit Kind erstmal beiseite geschupst und sauber vorgedrängelt. Sitzt da auf einmal so
ein walti-artiges Kantgesicht mit Bürstenhaarschnitt vor mir, ein ehemaliger Feldwebel
wahrscheinlich, mit 44 aussortiert, natürlich noch voll im Saft, aus Mitleid haben sie
ihm wohl diesen Deppenjob gegeben, nachdem er nach unzähligen Versuchen wieder
Fuß zu fassen in der freien Welt, als schlichtweg nicht vermittelbar eingestuft wurde ...
who knows, jedenfalls war mein erster Impuls ihm eine reinzuschlagen, für seine drecks-
ordentliche Haltung, wie er da sass, sozusagen als Kleinkönig unter den Mittellosen, er,
eigentlich einer von ihnen, nagut, sagen wir mal, einer von UNS, mit der Gabe seinen
Mitlosern die richtige Etage zu weisen, er sass da so zufrieden, man hätte die
Plexyscheibe, die ihn schützte, am liebsten mit der Daytona eingeschlagen, der Saphir-
Test - nichts ist härter als Saphir, ausser Diamant und der Schädel eines Feldwebels -
dann sah er mich an, dachte wohl, was für ein Schlappschwanz, schwänzt schwanzlos
den Dienst am Vaterland und kleidet sich Jahre später wie ein Vietnamveteran, ich hätte
es ihm nicht verübeln können, stimmt ja, irgendwie, aber für den Krieg auf der Strasse,
zur Verteidigung meiner Uhr und meiner ästhetischen Weltbetrachtung fühlt man sich
halt im ewigen Krieg, mit der Normalität, der Bürgerlichkeit, der Toleranz, mit allem.
Also: Walti - ich nannte ihn so - nennt mir abfällig, angewidert, mein Stockwerk, ich in
den Fahrstuhl, man stelle sich vor, ich musste in den ersten Stock, aber ein Treppenhaus
gibt es dort nicht, man MUSS in den Fahrstuhl, um sich wie einer von vielen zu fühlen,
die Unterwürfigkeit wird einem latent eingehämmert, man MUSS in den engen Fahrstuhl,
um den Dreck, den ungeduschten Gestank der Gleichgesinnten einzuatmen, man will mir
bedeuten: Du gehörst zu uns!
Ich also hoch, steige aus, gehe in den mir zugewiesenen Wartekorridor, den Blick auf
die Handgelenke meiner Leidensgenossen gerichtet. Ziel: Einen Rolexträger zu sichten,
vielleicht ein armes sparsames Würstchen mit SS/GG Daytona, einer der oben mitspielen
möchte, aber schon dadurch verloren hat, einer, der denkt, dass ihn seine Scheiss-Uhr
vor dem totalen Abstieg retten könnte, hätte er sich mal lieber eine Submariner gekauft,
aber leider: ich finde ihn nicht. In meiner Wartezone tummeln sich die seltsamsten
Gestalten, keinen blassen Schimmer, was ich hier soll, ich frischgeduscht mit Chanel
am Hals unter einer wildgewordenen stinkenden Dumpfbackenmeute. Dann, ich vorbei
an der Schlange, ich weiss, gleich haut mir einer von hinten eine rein, und zwar richtig,
vor an die 'Theke', sitzt da eine picklige Enddreissigerin, Hornbrille, etc. und fragt mich,
'ob ich noch alle Tassen im Schrank habe' - was für ein einfältiges Wortspiel, habe ich
seit meiner Kindheit nicht mehr gehört, amüsiert entgegne ich: 'Make my day!' Sie,
nichts verstanden, wie sollte sie auch, zu ihrer Zeit wurde Englisch noch in der Haupt-
schule erst ab der 7. Klasse unterrichtet, schaut mich ungläubig an und nimmt dann
doch meinen Meldezettel und gibt meine Daten in ihren verstaubten Computer ein.
Ich zu ihr: 'Stempel drauf und ich bin wieder weg'. Sie, denkt sich wohl, besser sei das,
haut ihr überlebenswichtiges Signet auf mein Blatt, sagt noch etwas, dass nächstesmal
auch ein Anruf genügen würde, gibt mir angewidert meinen Wisch zurück, in ein paar
Monaten ist meine schöne faule Zeit ja wohl auch vorbei und ich darf wieder mit meinem
Geld zurückzahlen, was ich die letzten Monate verprasst habe, aber egal, ich sehe auf
meine Daytona, denke mir, wie schön die neuen Zeiger doch sind, schaue dann nochmal
hoch, voll in ihre Pickelfresse, mir wird schlecht, und ich gehe ohne Gruss zum Fahrstuhl,
schnell weg hier, halte die schlechte Luft nicht mehr aus ... am Hauptfeldwebel vorbei,
rufe ich ihm zu: 'Tschüss Walti, wir sehen uns nicht wieder', dann raus aus dem
Rotklinkerbau, schnell zu meinem weissen Mercedes, kurzer Blick auf die Daytona, die
das Ganze ohne nennenswerte Spuren überstanden hatte, wieder der Gedanke, an das
schöne weisse Blatt und die grossartigen Zeiger, die eigentlich vier Jahre zu spät kamen,
aber egal, nun sind sie ja da, rein ins Auto, zur Bank, Geld abholen und erstmal eine
neue Paul Smith Jacke kaufen, damit der Tag noch ein gutes Ende findet ...
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Thema: Mein sozialer Abstieg ...
Baum-Darstellung
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19.04.2005, 09:27 #11
Insta: easyfun77
We've been on the run
Driving in the sun
Looking out for number one
California here we come
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