Einen eigenen Autoverkäufer hatten wir nicht. Nur Mäxken. Ende 50, Gebrauchtwagenhändler alter Art. Typ Rolf Zacher, nur etwas kleiner. Wir verstanden uns gut, weil wir beide Reval rauchten. Auch fragte er mich immer: " Micka, wat machen die Weiber?" Mäxken hatte immer drei oder vier eigene Karren auf dem Hof und war als freier Mitarbeiter auch bei uns für den Neu- und Gebrauchtwagenverkauf gegen Provision zuständig. Er fuhr jeden Mittag mit dem Scheff in die Kneipe "Maria" zum Essen.
In einem Moment der Muße (davon gab es genug) fragte ich ihn mal, wie er denn einen Porsche fahren könne bei den paar Autos, die er verkaufe. "Fünnef Prozent, da reichen sechs Stück!" war seine überzeugende Antwort. Das fand ich beeindruckend.
Nun trug es sich zu, dass plötzlich ein Offizier der Britischen Rheinarmee in der Werkstatt stand und sich nach dem damals brandneuen Range Rover V8 erkundigte. Keine Sau konnte Englisch, nur der Unterzeichner ("Sch... - Gymnasiast!!"). Scheff und Mäxken waren "zu Tisch". In der mir eigenen souveränen Art und noch ohne jeden Hauch von Bartwuchs zeigte ich Abschlusssicherheit, und so war die Sache nach anderthalb Stunden unterschriftsreif. Der Scheff kam rein und machte sofort den Papierkram. Mäxken ging erst einmal sofort wieder raus und musste auf den Schock eine Reval rauchen.
"Juut jemacht" sagte der Chef, "morgen Mittach jehste mit"! DER RITTERSCHLAG!!! Es gab Eisbein bei Maria und dazu für mich vier Stangen Alt. Die Stimmung war locker, ja sogar so locker, dass ich glaubte, die Sache mit der Provision müsse jetzt auf den Tisch. 30033 DM hatte der Range in senfgelb gekostet, fünf Prozent hätten für mindestens ein halbes Jahr Kippen, Bier und Flippern (= für die Jüngeren unter Euch: Vorgänger von "auf dem Handy spielen") mit meinen Kumpels gereicht.
Ohne mit der Wimper zu zucken erklärte der Boss ruhig: "Lehrlinge kriejen keine Provision. Dat ist verboten." Dann zeigte er auf den Tisch mit den Tellern und sagte: "DAT is Deine Provision". Ende der Diskussion. Mäxken lachte und stieß den Chef jovial an. Von nun an war meine zarte Abneigung gegen den Alten purem Hass gewichen.
Mitte Dezember kam dann der Kracher vom Chef:
"Michael, wir müssen Inventur machen!" Mir war klar, dass er mit "wir" mich meinte.
(In der Berufsschule waren wir gerade bei "Lagerhaltung". Inventur hatten wir noch nicht, "Inventar" kannte ich aber).
"Inventur? Wat is datten?"
"Do kriss von mir ne Liste und zälls alles nach, wat da is"
So bekam ich eine gefühlt 160seitige Liste von Mr. Wheels, gefertigt mit dem schwarzen und dem blauen seiner vier Kulis, penibel und sauber geschrieben.
Darauf standen Millionen Dinge wie: "BPJ MM L / 2 r 3" etc. und eine zigstellige Nummer - hier also "Ball pin joint (Kugelgelenkstange) Morris Minor links, 2. Regal rechts 3. Etage" 3 pieces.
Hatte ich diese 3 pieces gefunden, schrieb ich "3". Hatte ich nichts gefunden, schrieb ich "0". Meistens schrieb ich also "0", ohne die Folgen zu kennen. Es ging um Tausende Bolzen, Schrauben, Kronenmuttern, Überwurfmuttern, Kotflügel, Scheinwerfer bla bla für alle Typen der Company ... alles auf Englisch.
Drei Tage später legte ich die fertige Liste auf den Tresen, ging für eine Woche Urlaub und war erst zur Weihnachtsfeier bei Maria wieder da. Hier eröffnete mir der Scheff coram publico, dass ich "die ganze Inventur versaut" habe und ab dem Folgetag nicht mehr kommen müsse. Mir schossen die Tränen in die Augen. Wie sollte ich das meiner Mutter erzählen? Die hatte wahrlich schon genug mitgemacht.
Futzi tröstete mich, bei uns wäre es sowieso Schei...e und so weiter. Also blieb ich noch zwei Stunden, Essen und Trinken war ja für lau. Der Chef becherte ordentlich. Irgendwann, im Zustand erhöhter Lebensfreude, legte er mir eine Hand auf die Schulter und sagte: "Du bist doch groß und sportlich, geh doch zur Polizei!"
Na klasse, mit dem Lebenslauf und immer noch ohne Hauptschulabschluss .... die haben doch nicht auf dem Kopp laufen gelernt, dachte ich mir. Doch es kam anders ...