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Warum schaukelt das so? Sind wir denn noch gar nicht da? Ein Blick auf die Uhr: es ist kurz nach halb Acht. Wir müssen da sein. Aber – das schaukelt so. Und knallt. Und vibriert. Wir können noch nicht da sein.
Klar, man könnte nun aufstehen und nachschauen. Auf der anderen Seite – wofür gibt’s die Marine Traffic App? Also schnell nachgeschaut. Seabourn Quest, Status: stopped. Wir sind also doch da.
Aber dieses Schaukeln und Vibrieren... Okay, stehe ich halt doch mal auf und schaue nach. Das, was ich sehe, stimmt mich nachdenklich. Wir liegen vor der Palmer Station. Das stimmt also schonmal. Nur das mit der geschützten Bucht, das hatte ich wohl falsch verstanden. Es herrscht Seegang. Ein langgezogener Schwell, so hoch, dass es den Bug der Quest selbst im Stand aus dem Wasser hebt. Heftig.
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Entsprechend eindrucksvoll brechen die Wellen an den Felsen der Insel. Der Himmel ist grau. Es schneit. Horizontal. Okay. Das hatte ich mir definitiv anders vorgestellt.
Punkt 7:45 Uhr dann die obligatorische erste Durchsage. We are ready for the white group. Zipped & Clipped. White Group, das bin ich. Heute jedoch nicht. Denn: ich habe ja eine weitere Kajak Tour gebucht. Und wer eine Kajak Tour gebucht hat, der hat für jenen Tag ein Landing Ticket, dass ihn berechtigt, mit einer Gruppe seiner Wahl von Bord zu gehen.
Landing ist heute allerdings eh nicht. Heute gibt es nur eine Scenic Tour mit den Zodiacs. Meine Trumpf-Karte diesbezüglich spiele ich allerdings erst am Mittag aus, in der Hoffnung, dass das Wetter bis dahin besser wird.
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Erst also die Kajak Tour. Meine startet um 10, die erste bereits um 8. Ich schaue nochmal raus und denke mir, das kann nicht funktionieren. Das kann einfach nicht funktionieren. Der Seegang ist viel zu stark, der Wind, einfach alles. Ich warte also gespannt auf die Durchsage, dass die Tour gecancelt wird. Doch die Durchsage kommt nicht.
Verdammt, wie viele Layer soll ich denn heute anziehen bei diesem Dreckswetter? Das geht doch gar nicht. Das kann nicht gehen. Alle drei Minuten gehe ich auf den Balkon um mich davon zu überzeugen, dass das nicht gehen kann.
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Irgendwann entscheide ich mich dann für ein proaktives Vorgehen. Ich rufe den Guest Service Manager an und sage ihm, dass die Kajak Tour bei den Wetterbedingungen ja wahrscheinlich nun wirklich nicht stattfinden könne. Doch, sagt er mir. Findet statt. Die erste Gruppe sei grad draußen und sie hätten eine geschützte Bucht, wo die Kajaks dann zum Einsatz kämen. Werde bestimmt schön sagt er und wünscht mir viel Spaß.
Grmpf. Danke, danke. Also gut. Rein in die Klamotten. Zwei dicke Socken – reicht das für heute? Andererseits, die Neoprenschuhe sind so eng, dass da mehr eh ned geht. Am besten beide Thermounterhemden übereinander ziehen, Hemd, den Belstaff Cardigan (diesmal wirklich!). Reicht das? Doch noch eine Thermojacke drüber? Die hätte zumindest eine Kapuze. Allerdings wäre das kontraproduktiv ob des wasserdichten Halsabschlusses des Kajakanzugs.
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Eine Durchsage unterbricht meine quälende Unschlüssigkeit. „Unfortunately“, sagt die Kreuzfahrtdirektorin und ich denke mir nur YESSS! YESSS! YEEEEEEEEESSSSS!!!!!
Bedauerlicherweise habe man keine Gegend gefunden, in der das Kajak fahren möglich sei und müsse daher die 10 Uhr Gruppe absagen. WOOOOOOHOOOOOO!!!!!!
30 Sekunden später klingelt mein Kabinentelefon. Wie ich vielleicht gerade mitbekommen hätte (Kunststück, wie nicht?) wäre meine Tour abgesagt. Sie würden mich aber sehr gerne auf die 12 Uhr Tour umschreiben, weil die ziemlich sicher stattfinden könnte. Und wenn doch nicht, dann eben die um 14 Uhr.
Verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt. Der Gedanke, nun alle zwei Stunden zwischen Hoffen und Bangen zu sein, ob oder ob nicht, den finde ich wenig attraktiv. Außerdem will ich ja mit dem Zodiac raus. Also sage ich der Dame des Landausflugteams das genau so, dass ich später eben mit den Zodiacs raus will und dass das halt deutlich besser sei für Fotos. Hat sie natürlich Verständnis für.
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Als Tourtermin habe ich mir 11 Uhr vorgenommen, einstweilen mache ich es mir in der Observation Lounge gemütlich. Um 11 allerdings ist das Wetter noch immer nicht besser. Also bis zur nächsten, vorletzten Gruppe warten. Das wäre 12:30 Uhr.
Auch bis dahin ändert sich nicht viel an den Gegebenheiten. Also was soll’s. Bis auf den letzten Drücker mag ich nunmal auch nicht warten. Somit auf zur Kabine und fertig machen. Zipped & Clipped, das geht inzwischen ordentlich fix. Hinter zu Deck 5, Schuhe an und anstellen fürs Zodiac. Das dauert heute nochmal etwas länger, da die Bedingungen fürs Borden der kleinen Boote recht widrig sind.
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Zwar dreht die Brückencrew das Schiff immer so, dass der Anleger bestmöglich geschützt ist, dennoch reißt es die Boote immer wieder einen halben Meter auf- und abwärts. Irgendwann dann bin ich an der Reihe, letztes Boot, letzter der einsteigt, somit Platz ganz vorne im Boot. Lieblingsplatz. Läuft.
Wir tuckern erst ein wenig herum, dann fahren wir zu einer kleinen Bucht mit massig Eis. Das ist schon ziemlich beeindruckend, da auf einmal mittendrin zu sein, zumal der Schwell das Packeis heftig nach oben und unten drückt.
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Tiere gibt es auch zu sehen. Seehunde, Elephant Seals, Pinguine. Diesmal keine Gentoo- sondern Adéliepinguine. Auch schön. Ebenfalls dabei: Kormorane und Giant Petrels. Zu Deutsch laut Google: Riesensturmvogel.
Für mich heute grad deutlich spannender: die Eisberge überall. Irre Gebilde, riesengroß zum Teil. Zwei sind in etwas Entfernung zu sehen. Ob wir da hinwollen, fragt der Mann hinterm Steuer. Aber sicher doch! Dann aber schnell, meint er. Um so besser.
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In unserem Zodiac sind nur 10 der 16 Plätze belegt, zu meiner Freude ist auch niemand dabei, der etwas gegen eine forschere Fahrweise hat und so pflügen wir im Eiltempo die großen Wellen entlang. Ein riesen Spaß. Ich liebe es. Kurz zu den Eisbergen, die aus der Nähe noch brutaler wirken, dann mit gleichem Tempo zurück in Richtung Palmer Station. Dort dürfen wir aber wie gesagt nicht anlanden. Schade, wäre sicher interessant gewesen.
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Zurück zum Schiff. Was? Ehrlich? Jetzt schon? Ein Blick auf die Uhr verrät, dass wir tatsächlich schon rund anderthalb Stunden draußen sind. Krass, wie die Zeit hier vergeht.
Bei Rückkehr werde ich schon erwartet. Für 16 Uhr habe mich der Kapitän auf die Brücke eingeladen. Cool! Wir beide kennen uns wie gesagt schon von meiner ersten Reise auf der Quest. Als ich die Brücke betrete, ist das Team gerade dabei, die Rückholung der Zodiacs und Kajaks zu koordinieren. Außerdem muss das Schiff ständig mittels Bug- und Heckstrahlrudern in Position gehalten werden. Denn einen Anker haben wir auf Grund der Tiefe auch heute nicht gesetzt.
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Wir setzen uns hin, trinken Tee und reden über eine Stunde über die Reise und das Schiff. Aus jedem Satz kann man heraushören, wie glücklich er ist, genau dieses Schiff zu kommandieren. Rund 100 Schiffe habe die Carnival Corporation. Dieses hier sei das Einzige, auf dem dem Kapitän vollkommen freie Hand gelassen werde. Ushuaia am Sonntag verlassen und zehn Tage später auf den Falklands sein. Das ist die Vorgabe. Alles dazwischen liegt allein in seiner Entscheidung. Eine Freiheit, die heutzutage in dem Metier ansonsten nicht mehr vorhanden ist.
Er zeigt mir Bilder von den letzten Reisen. Einmalige Momente. Jede Reise ist anders. Keine mit der anderen vergleichbar. Bezüglich angelaufener Punkte, Stimmungen, Wetter. Mit letzterem hatten wir wirklich enormes Glück. Vielleicht die beste Reise der Saison.
Er stellt mir seinen Ice Pilot vor. Ein erfahrener ehemaliger Eisbrecher Kapitän, der ihm über die gesamten Reisen zur Seite steht. Auch das keineswegs Usus bei solchen Reisen. Bei Seabourn allerdings schon.
Irgendwann muss aber auch er sich für die kommende Überfahrt vorbereiten und ich wechsle auf meine Kabine. Abschiedsstimmung keimt auf. Antarktis. Das war es jetzt also. Noch einmal setze ich mich auf meinen Balkon und genieße die Eindrücke, die da auf mich einfließen.
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Und wie ich da so sitze, dem Knacken, Knistern und Bitzeln des Eises lausche, denke ich mir, genau diese Situationen in den vergangenen sechs Tagen dann vielleicht doch etwas zu wenig genossen zu haben. Vielleicht wäre es besser gewesen, Kamera und iPhone hier und da einmal mehr beiseite gelegt zu haben und stattdessen einfach nur „gewesen“ zu sein.
Nun allerdings ist es zu spät für diese Erkenntnis. Die Landschaft beginnt langsam, sich zu bewegen. Das war’s mit Antarktika. Definitiv. Kein Zurück. Ich schaue den schneebedeckten Gebirgen, den Gletschern noch lange nach. Ab und an zieht ein Eisberg vorbei. Gewohnter Anblick der vergangenen Tag, doch jetzt zunehmend seltener. Eine kleine Träne kann ich mir ob dieser Gedanken dann doch nicht verkneifen.
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Recap & Briefing gibt es heute erneut, da kann ich aber nicht hin. Grund: man hat mir nochmal einen Tisch im Thomas Keller reserviert. Damit möglichst viele Gäste in den Genuss des Grill-Restaurants kommen, werden die Tische in der Regel doppelt vergeben. 18:30 und 20:30.
Meine Tischnachbarin heute ist eine ältere Dame aus West Hollywood. Kreuzfahrt Profi, allerdings das erste Mal mit Seabourn unterwegs. Genügend Stoff für Unterhaltungen ist also in jedem Fall vorhanden.
Was esse ich denn heute? Nochmal das Gleiche wie ein paar Tage zuvor? Irgendwie doof. Ich entscheide mich für eine Foie Gras Pastete als Vorspeise und das gegrillte T-Bone vom Kalb. Gerade dieses ist eine vortreffliche Wahl. Butterzart, saftig und wunderbar aromatisch. Ein Traum. Eigentlich dachte ich mir, zweimal Thomas Keller reicht. Nach diesem T-Bone bin ich mir dessen auf einmal aber gar nicht mehr so sicher.
Das mit den zwei Tischzeiten allerdings ist murks. Gerne hätte ich noch ein Glas Wein getrunken, doch sehe ich aus dem Augenwinkel schon die nächsten Gäste auf unseren Tisch warten. Da fühlt man sich doch direkt schuldig und so verlasse ich kurz nach halb Neun das Restaurant.
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Was jetzt? Irgendwie ist es noch so früh. Also nochmal schnell ins Hauptrestaurant und den DACH Tisch besucht. Denn meine neugewonnenen Freunde habe ich heute noch gar nicht gesehen.
Wie denn die Kajak Tour um 8 Uhr war, frage ich. Määp. Falsche Frage. Sie erzählen mir, dass man sie auf die Zodiacs gebracht hat und dann erst später bemerkt habe, dass das mit den Kajaks nicht funktioniere. Als Entschädigung gab es dann eine Zodiac Tour. Eigentlich ganz nett gedacht. Doch in den Neoprenanzügen auf einem Zodiac durch die Gegend zu fahren, morgens um Acht ist dann doch eine ziemlich eisige Angelegenheit.
Bei den Berichten wird mir allein schon vom Zuhören kalt und ich bin froh, die für mich sicherlich richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Ich komme gerade richtig zum Nachtisch. Ob ich auch noch was will? Oh nein! Ein paar Minuten zuvor hatte ich mich erneut am Chocolate Layer Cake versucht – und bin erneut kläglich daran gescheitert. Dieses Ding ist so mächtig, dass es für mich als einziges Nahrungsmittel des Tages taugen würde.
Apropos. Das mit dem „Gürtel im engsten Loch tragen“ hat sich mittlerweile dann auch schon wieder erledigt. Dafür geht’s meinem Knöchel wieder besser. Also wieder ein paar mehr Treppen laufen. 15 Stockwerke sind es heute. Immerhin.
Statt an die Observation Bar geht es heute mal wieder in den Club. Morgen ist Seetag. Das verspricht doch geradezu, dass da – vergesst es. Bereits lange vor Mitternacht hört die Band auf zu spielen. Die Gästezahl? Nennen wir es mal „übersichtlich“.
Kurz nach Mitternacht übernimmt dann ein asiatisches Ehepaar das Füttern der Jukebox. Ihre Wahl fällt auf die größten Weihnachtsklassiker der amerikanischen Musikgeschichte. Kurz wünsche ich mir Cliff Carpenter zurück. Zeit für mich, zu gehen. Gute Nacht.
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Drake Passage, Tag 1. Und die Frage: was ist nur los mit mir? Geschlafen habe ich heute mehr so mittelmäßig. Komische Sachen geträumt. Und dann ist da dieses Gefühl. Ein seltsames Gefühl. Eines, das mir vertraut vorkommt, in die augenblickliche Situation aber eigentlich so gar nicht passen mag. Ja, es fühlt sich an wie – Liebeskummer.
Eine gewisse Traurigkeit. Das Wissen, etwas verloren zu haben. Es ist 7:45 Uhr morgens, als ich aufwache. Nein. Das ist kein Scherz. Mein Körper scheint sich an die Zeit der morgendlichen Durchsagen gewöhnt zu haben. Indes: heute wird es keine Durchsage mehr geben.
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Der Wunsch, aufzustehen ist da. Die Vorhänge beiseite zu ziehen und erneut auf diese schroffe Felslandschaft, diesen Traum in Schwarz und Weiß zu blicken. Und gleichzeitig ist klar: da draußen wartet heute nichts mehr. Mit jeder Minute entfernen wir uns weiter vom Höhepunkt dieser Reise.
Genau das ist grad mein Problem. Die erste Woche, sie war voller Vorfreude. Voller Erwartung. Von Tag zu Tag stieg die Spannung. Das war toll. Woche Nummer Zwei, das war der Höhepunkt. Ein sehr lang gezogener. Sechs Tage Erlebnis pur. Gänsehautmomente. Anstrengung, Müdigkeit. Zufriedenheit. Glück.
Doch was nun ist mit Woche Drei? Vier Seetage hält sie bereit, unterbrochen von zwei Destinationen. Das ist nicht viel. Das Gefühl ist da, bereits alles gesehen zu haben. Zeit, die Eindrücke noch einmal Revue passieren zu lassen? Vielleicht. Doch dazu sind sie einfach noch zu frisch. Noch überwiegt der Wunsch, einfach nur zurück zu wollen. Dorthin, wo an jedem Tag etwas Neues wartete, etwas Unvergessliches.
Es kommt mir vor wie eine Sucht. Süchtig nach dem ewigen Eis. Lustig, dass ausgerechnet mir sowas widerfährt. Mir, der ich doch Kälte so überhaupt nichts abgewinnen kann. Drei Wochen Antarktis oder eine Woche Kanaren? Vor diese Wahl gestellt hätte ich mich vor noch gar nicht allzu langer Zeit für Letzteres entschieden. Definitiv.
Doch die letzten Tage haben einiges verändert. In die Antarktis gereist und sich selbst gefunden. So oder so ähnlich war der Plan bezüglich meines Artikels. Hat es funktioniert? Nein. Nicht so wirklich. Dafür waren die Tage einfach zu vollgepackt mit Eindrücken. Zur Ruhe kommen im ewigen Eis? Das geht vielleicht, wenn man als Forscher den Winter auf einer der dortigen Stationen verbringt. Aber nicht auf so einer Tour.
Ich bleibe noch ein bisserl liegen, dann schnappe ich mir mein Laptop und begebe mich in die Observation Lounge. Schreiben. Die Gedanken zum Vortag – und jene, die Ihr jetzt lest. Die See wird rauer. Von Stunde zu Stunde. Es schaukelt gewaltig. Die Wolken formen immer neue Gebilde. Mal kommt die Sonne durch, dann schneit es wieder.
Während ich hier so sitze, leert sich der Raum immer mehr. Hier, ganz oben und vorne, ist der Seegang besonders stark zu spüren. Besonders gut zu spüren. Der Horizont bewegt sich in den Fenstern. Mal ist nur Meer zu sehen, dann wieder nur Himmel. Willkommen auf der Drake Passage. Ich hatte es ja so gewollt.
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Und wie. Denn in diesem Moment erlebe ich das, was ich auf Kreuzfahrten so oft vermisse. Seefahrt. Echte. Pur und ungeschminkt. Gut, bis auf die Tea Time, den Champagner und – ach, Ihr wisst schon, wie ich es meine. All der Luxus kann jedoch nicht verbergen, dass wir hier letztlich aber dennoch den Naturgewalten ausgeliefert sind. Auf angenehme Art und Weise zwar, wobei wenn ich mich so umschaue die meisten Mitreisenden das heute wohl anders sehen und eher auf die Annehmlichkeiten verzichten werden.
Das Schiff ist geschmückt mit Spucktüten, man sieht nur wenige Gäste auf den Gängen. Es ist eine permanente Achterbahnfahrt mit freiem Fall alle 40 Sekunden.
Der Kapitän meldet sich, dass sein Plan aufgegangen sei und wir dadurch heute das Fenster mit ruhiger See erwischt haben. Morgen werde es dann ein wenig stürmischer. Kurz muss ich schmunzeln als ein herrenloser Servierwagen auf mich zugeschossen kommt. Der Steward bekommt ihn noch zu fassen. Alles gut gegangen. Ein Glück, dass wir keinen echten Seegang haben. Ja, nee. Is klar.
Da ich es gerade im Forum gelesen habe: wir haben noch gar nicht über den Preis gesprochen, den man für eine solche Reise zahlt. Da ich diesmal hier ja im Auftrag für ein anderes Magazin an Bord bin, respektive auch nur kurzfristig für deren Chefredakteur eingesprungen bin, hatte ich mit den genauen Konditionen wenig zu tun. Also mal höchst investigativ einfach andere Gäste gefragt. Und gestaunt.
Der reine Reisepreis (ohne Anreise), so wurde mir gesagt, hätte für diese Tour bei rund 10.000 Euro pro Person gelegen. Bei drei Wochen macht das umgerechnet nicht einmal 500 Euro pro Tag und Person. Für eine Antarktisreise. Auf einem der besten Schiffe der Welt. Ganz ehrlich, ich hätte da mit deutlich mehr gerechnet.
Was ist da alles inkludiert? Nun, wirklich so ziemlich alles, was man an Bord konsumieren kann. Klar, ganz spezielle Weine kosten natürlich extra, aber eine sehr große Weinauswahl von rund 40 oder 50 Sorten ist inkludiert. Ebenfalls dabei: Champagner.
Keine Aufpreise gibt es beim Essen. Auch das Steak Restaurant ist inkludiert und wer will, der kann sich den ganzen Tag von Kaviar ernähren. Burger, Pizza, Spaghetti Bolognese, alles was man will, machen sie hier möglich, erbitten bei Sonderwünschen nur, dass man am Vortag bescheid gibt.
Extra kosten die Landausflüge in den Häfen und die Kajak Experiences. Die Anlandungen und Zodiac Touren in der Antarktis allerdings sind inklusive.
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Die Antarktis wird von immer mehr Reedereien angefahren, die Anzahl der Expeditionsschiffe wird sich in den kommenden Jahren vervielfachen. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Preise. Eine solche Reise zu dem Preis wäre vor einigen Jahren wohl nahezu undenkbar gewesen.
Andere Reedereien im Luxussegment rufen derzeit ähnliche Preise auf, sind dann allerdings gerade einmal halb so lange unterwegs. Antarktiskreuzfahrten auf den kleineren Expeditionsschiffen ab bis Ushuaia beginnen auch heute noch oftmals erst ab rund 25.000 USD pro Person.
Wer Lust auf eine Reise wie die Meinige auf der Quest hat, sollte sich allerdings bewusst sein, dass dieses Schiff voraussichtlich nur noch ein oder zwei Saisons hier im Einsatz sein wird. Seabourn wird für die Antarktis zwei neue, kleinere Expeditionsschiffe bauen, die 2021 und 2022 in Dienst gestellt werden. Was das für die einzelnen Reisedauern und -kosten angeht, wird sich zeigen.
Besonders günstig wird eine Antarktis-Reise übrigens dann, kombiniert man sie mit weiteren Reisen. So koste etwa die ebenfalls dreiwöchige Anschlussreise nach Brasilien und in den Amazonas auf diese Art dann nur noch rund 1.900 Euro p.P. zusätzlich. Bitte nicht festnageln, ich habe diese Preise nicht überprüft (wie auch – bei dem Internet die vergangenen Tage), aber es erklärt, warum viele der Mitreisenden sogar bis Lissabon an Bord bleiben. Das sind dann immerhin über 60 Tage!
Für mich ist das heute Tag 16 auf dieser Reise. Bin ich dem Ganzen schon überdrüssig? Auch wenn es am Anfang der heutigen Zeilen vielleicht anders klang, nein. Das ist nicht der Fall. Es wird sich zeigen, wie das in ein paar Tagen aussieht, momentan allerdings könnte ich mir gut vorstellen, mit dem Schiff weiter bis nach Europa zu reisen. Doof nur, dass die Baselworld in diesem Jahr noch ein letztes Mal Ende März stattfindet und meinen Reiseplänen damit ein geradezu naturgegebenes Limit setzt.
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Während des Schreibens dieser Zeilen wird das Wackeln an Bord klanglich besonders hübsch untermalt. Denn zur Tea Time sind nun alle Tische gedeckt. Die letzten Tage war zwischen Vier und Fünf in der Observation Lounge kein Platz zu bekommen. Heute ist es – nunja – nicht ganz so voll. Woran das wohl liegen mag?
Ich verbringe heute tatsächlich den ganzen Tag hier oben. Und es ist verdammt schön. Mit jeder Seemeile wird die Freude darüber, einfach hier an Bord zu sein und das Meer beobachten zu können größer, vermag den antarktischen Liebeskummer ein wenig zu überdecken.
Anhang 206520
Heute ist „Open Bridge“. Das heißt, die Gäste können zwischen 12 und 17 Uhr wann immer sie Lust haben auf der Brücke vorbei schauen. Kenne ich so auch nicht unbedingt von anderen Schiffen. Ist halt alles etwas familiärer hier. Um das Ganze etwas zu entzerren, gibt es zwei Open Bridge Days, heute ist der Erste. Für die Bewohner der Decks 7-10. Die von Deck 4-6 bekommen ihren dann am Freitag. Kontrolliert aber auch nicht wirklich wer.
Anhang 206522
Zum Abendessen geht es heute wieder ins Hauptrestaurant. Auch dieses ist vielleicht zu einem Drittel gefüllt. Die Wellen und die Gischt überragen ab und an die großen Fenster hier unten auf Deck 4. Das sieht äußerst spannend aus. Irgendwann zwischen Penne Gorgonzola und Filetsteak allerdings hüllt die Nacht ihren Vorhang über die Szenerie.
Apropos Vorhang. Jene gibt es im Restaurant zu genüge und sie tanzen wie verrückt zu den Bewegungen des Schiffes. Diese sind auf Grund des von schräg hinten kommenden Schwells mehr über die Längsachse zu spüren, im Grunde aber rollt das Schiff in alle Richtungen.
Anhang 206523
Wie das so ist mit den Wellen, manchmal beruhigt sich das Ganze eine Zeit lang. Trügerisch, kommt dann eine Überlagerung und es geht so richtig los. Eine Welle ward dann ganz besonders arg. Auf meinem Platz schwanke ich erst langsam nach rechts, dann, schnell und heftig, zieht es mich nach links. Aus der Küche ist ein Klirren zu vernehmen, das ähnlich eines Lawinen-Effekts immer stärker wird. Oooops. Das wird teuer.
Auch das Laufen ist echt nicht mehr ganz so einfach jetzt. Speziell hier im großen Restaurant. Doch die Restaurantmitarbeiter helfen den Passagieren, wo sie können, haken sie ein um sie sicher hinein und hinaus zu begleiten.
Anhang 206524
Auf meinem anschließenden Weg zur Observation Bar torkle auch ich immer wieder von einer Wand zur anderen. Ich will nicht sagen, dass das der stärkste Seegang ist, den ich jemals mitbekommen habe aber – er ist schon wirklich ziemlich ordentlich.
Viele der Mitreisenden an der Bar, ok, viele der zwölf Mitreisenden an der Bar, haben diese Akkupunkturbänder an. Scheinen wirklich zu helfen. Ich komme bislang aber auch so ganz gut klar. Einzig strengt der Seegang auf Dauer extrem an. Und er macht müde. Nach einem Grey Goose on the Rocks und ein paar mir vorgeführten Zaubertricks ist denn so auch Schluss für heute. Deborah, die Pianistin, spielt noch einen Bond-Song an, dann gehe ich in meine Kabine.
Dort Läuft heute „Die Tanzplatte des Jahres“ von Günter Noris. Aus dem Jahr 1992. Na dann Gute Nacht.