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Sehr interessanter Beitrag!
Du hast dich ja schon mehr als intensiv mit dem Thema beschäftigt und wie es scheint auch viel selbst ausprobiert. Ich nutze daher die Chance für eine grundsätzliche Verständnisfrage zum Umgang mit Polierscheiben.
Die Scheiben sind doch in den meisten Fällen breiter als die zu polierende Flanke einer Uhr. Was ich nicht verstehe:
1) Selbst wenn ich die Seiten abklebe werden diese zwar nicht poliert, aber die Ecken doch unweigerlich abgerundet? Oder „stabilisiert“ das Klebeband die Kante?
2) Wenn die Polierscheibe nicht 100% plan auf der Flanke aufliegt, ist der Druck doch ungleichmässig verteilt und man bekommt (übertrieben) eine Kerbe bzw. geht der rechte Winkel zwischen Flanke und Seitenfläche verloren?
Oder hab ich einen (oder mehrere) Denkfehler?
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Servus! Nein du hast überhaupt keinen Denkfehler. Genau das ist die Herausforderung bei der ganzen Sache.
Also zum einen muss man ohne Druck arbeiten und ständig in Bewegung bleiben. Theoretisch (und auch praktisch) kann auch eine Faser im Filz oder Schwabbel härter sein, die du dir sonst an einer Stelle reinarbeiten würdest.
Ja das korrekt geklebte Band und die Arbeitsrichtung stabilisiert die Kante, wenn man es richtig benutzt. Sobald sich etwas Kleber aus dem Band lößt sollte man den dann immer mit Isopropanol wegwischen.
Es ist zu kompliziert zu erklären, deswegen habe ich eine Grafik dazu skizziert.
https://up.picr.de/50233392tc.png
Ich habe es jetzt am Beispiel der Schließe gemacht, weil das auch am einfachsten ist. (Am Gehäuse wird es dann schwieriger und man braucht auch mehr vorarbeit, aber am Gehäuse sollte man eh eigentlich nichts machen, solange ein Uhrwerk drinnen ist. Beim Polieren enstehen ja auch feine Vibrationen und wenn man nicht aufpasst auch Hitze, was schlecht ist.)
Sprich dort wo die Bewegung des Rades aufkommt, ist die Kante geschützt. Dadurch wird sie auch nicht rund.
An anderen Stellen wo das komplizierter ist gilt eben die Devise, dass man die Arbeitsbewegung immer so wählt das man die Kante wegzieht und nie in Kante hin arbeitet, weil wie du richtig bemerkt hast diese dann abrunden würde.
Und das ganze noch so, dass der Winkel der Fläche richtig gehalten wird, dass das Rad möglichst Plan aufliegt, deswegen sind größere Räder ja auch einfacher beim arbeiten. Aber da gibt es dann das Problem, dass die Qualität schlechter ist und aufpassen, dass es nicht zu schnell wird. Wenn es sich schnell dreht passieren Fehler schneller.
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Danke für die ausführliche Erklärung.
Skizze 1 ist klar und gilt sinngemäss natürlich auch für die seitlichen Flanken am Gehäuse. D.h. man arbeitet jeweils von der Kante weg und nicht entlang der Kante? Wobei es ja auch noch eine gegenüberliegende Kante gibt, wo man ja unweigerlich dann wieder in die Kante hin arbeitet?
Skizze 2 soll die verschiedenen Arbeitsrichtungen auf der jeweiligen Fläche darstellen, also nicht einfach nur in eine Richtung „von oben nach unten“, sondern schiefe, sich abwechselnde Polierrichtungen – korrekt?
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Bei folgendem gehe ich immer davon aus, dass man alles im richtigen Winkel dranhält.
Also warum wird die Kante rund wenn man sie nicht schützt?
https://up.picr.de/50233927jd.png
Die Fasern des Polierrades schlagen beim Drehen auf die Kante auf und runden sie dadurch ab. (Deswegen muss die mit dem Kaptonband das hitzebeständig ist geschützt werden). Die Situation ergibt sich auf der Unterseite nicht, weil die Fasern noch "verbogen" sind.
Nicht vergessen wir arbeiten ja mit wenig Druck und geringer Drehzahl.
Tatsächlich wird die untere Kante sogar schärfer als vorher. (Dasselbe kannst du ja auch mit Holzschnitz Werkzeug oder Messern machen und diese damit schärfen.)
Man kann auch 2 Arbeitsschritte machen und somit beide Kanten "schärfen" braucht aber extraviel zeit weil man nicht beide Seiten gleichzeitig abkleben kann, weil das untere Klebeband beim arbeiten gelößt wird.
Die roten Pfeile zeigen die Bewegungsrichtung der Fasern. Um etwas spiegelglatt zu polieren muss man immer im Kreuz arbeiten. Sonst vertieft man einzelne Kratzer nur mehr und gleicht sie aber nie aus.
Bevor du dich jemals an eine Uhr traust übe unbedingt vorher mit einem Löffel oder einer billigen Übungsuhr (auf kleinanzeigen findet man immer irgendetwas aus Stahl.um 5 oder 10 Euro).
Man muss sich an so ein rotierendes Werkzeug auch gewöhnen.
Das schlimmste was passieren kann ist, dass dir das Rad die Uhr aus der Hand reißt und diese an eine Wand oder den Boden geschleudert wird.
Und was noch wichtig ist, alles was zu tief ist, (also mit dem Fingernagel spürbar) darf man nicht auspolieren weil man sonst zuviel Material wegnehmen muss.
Das was ich da herzeige ist nur ein hochwertiger Ersatz für diese Poliertücher oder "CapeCod und ähnlicher Schrott"
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Danke für die sehr verständliche Erklärung!
Bzgl. hochwertigem Ersatz für CapeCod – wäre es nicht auch denkbar, die von dir erwähnten Polierpasten (Luxor weiss, gelb und orange) auch manuell d.h. von Hand zu verwenden. Also mit einem hochwertigen Poliertuch, Polierwatte, Q-Tip oder ähnlichem.
Klar – dauert um einiges länger als mit der Scheibe, aber man wäre auf der absolut sicheren Seite. Und mit CapeCod ist es ja auch eine manuelle Politur, allerdings ist die auf den Tüchern enthaltene Paste zu agressiv, das Tuch zu grob oder eine Kombi aus beidem (es bleiben ja immer Microkratzer bzw. ein Schleier)...
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Luxor Orange hat ein Körnung von 0,1 Micron. also 100 Nanometer oder 0,0001 Millimeter, das ist deutlich kleiner als viele Bakterien. Weiß 0,3µm
Keine Ahnung ob man da mit der Hand auch nur irgendwie weiter kommt. Ich hätte da Sorgen dass man eher Unebenheiten einarbeitet, weil man dann eben durch die Eintönigkeit anfängt fahrlässig zu werden.
Es gibt übrigens "Filzfeilen" und Lederfeilen, das ist Filz bzw. Polierleder auf einem geraden Holzstaberl aufgebracht. Aber das würde ich mir unter blau nicht anfangen. besonders das kreuzweise arbeiten wird da schwer.
Ehrlichgesagt weiß ich es nicht.
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Wäre interessant welche Körnung das CapeCod Tuch bzw. die Flüssigkeit mit der das Tuch getränkt ist, hat – wird man aber wahrscheinlich nicht rauskriegen.
Mit der genannten Filzfeile bzw. Lederfeile hätte man ja zumindest eine gerade Auflage und könnte die Gefahr von Unebenheiten ausschliessen.
Einen Versuch wäre es wert – hättest du einen konkreten Tip für ein Poliertuch für die manuelle Anwendung der Polierpasten? Oder würdest du wirklich eine Filz- oder Leferfeile mit der jeweiligen Polierpaste verwenden? Polierwatte oder Q-Tip zu rauh?
Am Ende geht es ja um eine hochwertigere/bessere Alternative zu CapeCod – wenn möglich ohne zusätzliches Equipment ala Proxxon und Polierscheiben, d.h. mit einfachen Tüchern.
Vielen Dank!
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Ja ist alles geheim, aber Cape Cod hat mit recht hoher Wahrscheinlichkeit eine Körnung von bis zu 1 µm und ist einer Lösung. Wobei das Tuch selbst noch gröber ist. Das kann ich dir sagen Aufgrund der feinen Kratzer die man unter der 10-fach Lupe sieht. Wie gesagt, ich hab ALLES von dem Zeug Zuhause und mich wirklich sehr intensiv damit beschäftigt. (Auch das Bergeon Poliertuch ist schlimm)
Auch wenn ich fachlich überhaupt nicht vorbelastet bin, mir war einfach nur langweilig und ich wollte den Schaden den ich mit dem Cape Cod verursacht hatte wieder zurecht richten.
https://up.picr.de/50241271gc.jpg
mit Polierblau
Habe ich letztendlich nie an einer Uhr getestet, man drückt dann doch fester auf als man will, und hat dieselbe Problematik.
Mit meiner jetzigen Erfahrung würde ich ausschließlich mit Luxor Orange (evtl auch weiß) und einem gefächerten Hatho Filz und einem ultraweichen Baumwollschwabbel arbeiten, am rotierenden Gerät
Mit allem anderen macht man mehr Schaden als es hilft. Und Fehler passieren extrem schnell und sind dann sehr teuer zum ausbügeln, wenn ein Fehler am Gehäuse passiert wird es überhaupt gleich unfassbar teuer. (Ein Rolex Ersatzgehäuse kostet mehrere tausend Euro)
Was gerade noch so geht sind manche Juwelier Poliertücher, da merkt man sofort beim Angreifen, dass die extrem weich sind und wenig verursachen.
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Ist die gezeigte Filzfeile deiner Meinung nach weich genug, für die manuelle Verwendung mit Luxor Orange?
Hast du aus deiner Erfahrung heraus eine konkrete Empfehlung für ein geeignetes Juwelier Poliertuch welches weich genug ist?
Selbe Frage für den Hatho Filz und den Baumwollschwabbel https://www.hatho.de/Produkte/Filzpolierk%C3%B6rper/
Mir ist ja auch nur langweilig... :D
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Von der Feile würde ich überhaupt abraten.
Das beste Tuch was ich hatte war vom Dortheum Juwelier. Marke???
https://www.hatho.de/Produkte/Filzpo...0x10x1_HP_294/
https://www.hatho.de/Produkte/Filzpo...0x20x4_HP_311/
Wobei der kleine fast besser ist. Der große ist halt bei größeren Flächen passender.
https://www.amazon.de/dp/B09CLPYJW1/...16X0K03H&psc=1
und jetzt wird es lustigerweise counter intuitiv!
Diese Baumwohlfasern sind aggresiver als die Filzkörper!?!
Deswegen nur mit Orange benutzen.
Die Fasern nehmen nämlich mehr Poliermittel auf und sind deswegen aggressiver.
Der Filzkörper ist besser um plane flächen zu machen. Das Baumwollding ist nur für das letzte finish damit es wirklich spiegelglatt wird, es ist auch etwas schwerer zu kontrollieren.