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Den letzten Teil meines Reisetagebuchs schreibe ich vom heimischen Schreibtisch aus. Zwei Tage habe ich an jenem Artikel für das Magazin gesessen, für das ich an Bord gekommen bin. Nicht ganz einfach, Erlebnisse, für die ich hier bei uns einen ganzen Thread habe, in nicht einmal ein Zwölftel des Umfangs zu pressen.
Um so glücklicher bin ich, hier noch ein letztes Mal „frei von der Leber weg“ (Hallo, Negroni!) von dem erzählen zu können, was in den letzten zwei Tagen der längsten Reise meines Lebens passiert ist.
Beginnen wir mit Samstag. Tag 21. Es ist somit der vorletzte Tag unserer Reise. Und irgendwie kann ich das kaum glauben. Drei Wochen! Wie können drei Wochen nur so unfassbar schnell vorüber gehen? Was habe ich mir vorgestellt, wie viel Zeit ich doch haben werde an Bord. Bei so vielen Seetagen. Was hatte ich mir vorgenommen, alles zu lesen, zu schreiben. Nicht einmal die Netflix Serien habe ich angefangen zu schauen. Drei Wochen! Unglaublich.
Heute steht Montevideo auf dem Programm. Und zu meiner Freude habe ich ein paar Tage zuvor festgestellt, dass ich somit noch ein weiteres unentdecktes Land abhaken kann: Uruguay.
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Als ich am Morgen auf meinen Balkon trete, scheint nicht nur die Sonne, nein. Es ist warm! Temperaturen knapp über 20 Grad! Endlich! Antarktis hin oder her, so ein ganz klein wenig hatte ich die Wärme dann doch vermisst, merke ich gerade.
Zum ersten Mal auf dieser Reise nehme ich dann auch mein Frühstück im Außenbereich des Collonade ein. Während ich mein wie üblich vorzügliches Mandelcroissant genieße, bahnt sich die Quest ihren Weg durch den Rio de la Plata. Rio de la Plata, das bedeutet Silberfluss. Ja, okay. Hab‘ ich gegoogelt. Und? Weiter?
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Warum der Name? An gleißenden Sonnentagen sähe die Oberfläche des Wassers aus, als sei sie aus reinem Silber. Gut, gleißendes Sonnenlicht haben wir heute. Doch reines Silber ist so ziemlich die letzte Assoziation, die mir in den Sinn käme. Eher Trinkschokolade. Mal sehr sehr wohlwollend ausgedrückt. Nein, eigentlich schaut’s eher aus wie – is ja auch egal. Schwimmen würde ich hier zumindest beim besten Willen nicht wollen. Belassen wir es dabei.
Gegen 11 Uhr erreichen wir den Hafen von Montevideo. Großstadt. Nach den letzten drei Wochen kommt einem das total skurril vor. So viele Gebäude, so viele Menschen. Schrecklich.
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Die Szenerie wird vervollständigt durch etliche Schiffswracks, die hier einfach vor sich hindümpeln. So ein bisschen merke ich Wut in mir. Wut darüber, wie man doch hier (und überall sonst) mit unserem Planeten umgeht. Werde ich jetzt zum Umweltschützer? Naja, ganz so weit sind wir dann doch noch nicht. Aber ein wenig was hat sich geändert in den vergangenen Wochen.
Sagte ich schon, was für tolles Wetter wir haben? Ich entscheide mich, von Bord zu gehen. Die Altstadt ist nicht weit und gut zu Fuß erreichbar. Alternativ gibt’s auch einen Shuttlebus. Kaum habe ich mich auch nur 5 Meter vom Schiff entfernt, beginnt es zu regnen. Echt jetzt? Also direkt wieder zurück und einen der bereitgestellten Schirme geschnappt. Kaum verlasse ich mit diesem das Schiff, hört der Regen auf. Ok, nicht mit mir. Den Schirm nehm‘ ich jetzt trotzdem mit. Und wenn er auch nur dafür da ist, den Regen abzuhalten.
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Der Weg zur Stadt ist tatsächlich sehr leicht zu finden. Einfach den mittlerweile ja sehr gut bekannten Mitreisenden nach. Eigentlich besteht die Stadt heute nur aus Gästen und Crew der Seabourn Quest. Montevideo hat über eine Million Einwohner, Gäste und Crew der Quest bringen es nicht einmal auf 800 Menschen. Wie geht das? An einem Samstag?
Nun, Samstag in Uruguay ist wohl nicht ganz so wie Samstag in Deutschland. Die meisten Geschäfte haben geschlossen und so verschlägt es nur wenige Einheimische in die Einkaufsstraßen.
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Ich treffe auf Anita, die stellvertretende Restaurantmanagerin, die mir immer meine Croissants zum Frühstück organisiert. Sie zeigt mir den Mercado del Puerto. Hier gibt es jede Menge Restaurants, überall liegen die fettesten Steaks auf dem Grill, das Bier wird in Literflaschen serviert. Ich entscheide mich für eine echt uruguayische Sorte: Zillertal Premium Lager. Kiddin‘ you not!
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Ist auch ganz lecker, auf ein Steak dazu verzichte ich aber schweren Herzens. Denn heute steht das letzte gemeinsame Dinner des DACH Tischs an und das will ich nicht verpassen. Ab morgen wird der Tisch dann etwas leerer, denn nur die Paare aus Österreich und der Schweiz bleiben für eine bzw. zwei weitere Reisen an Bord.
Sie werden das Schiff nun von einer ganz anderen Seite kennen lernen. Speziell kommen sie auf ihrer Amazonas Tour in das Vergnügen des hinteren Pooldecks. Dieses wieder „sommertauglich“ zu machen, daran arbeitet man schon seit den Falklands. Heute gehen noch die zusätzlichen Zodiacs von Bord und dann heißt es Sonnenmilch statt Zipped & Clipped. Ein klein wenig neidisch bin ich da ja schon.
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Zum Abschluss noch einmal ein paar Sonderwünsche im Restaurant. Hummer als Vorspeise, Hähnchenbrust zum Hauptgang und ein Strawberry Sundae zum Dessert. Die Quest wurde heute auch frisch beladen, allerdings sind noch nicht alle Dinge auch am Bestimmungsort in der Provision angekommen. So gibt’s beispielsweise kein San Pellegrino mehr. Also eigentlich. Denn irgendwoher holt Ashlee, unsere Tischstewardess, dann doch noch ein paar Flaschen. Immer wieder irre, wie sich die Crew hier an Bord ins Zeug legt. Was werde ich das vermissen.
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Der letzte Abend findet seinen Ausklang noch einmal bei James und Deborah an der Observation Bar. Der Abschied mit den hier ebenfalls über die letzten Wochen anwesenden Passagieren findet allerdings recht früh statt. Denn die Koffer müssen vor die Tür und morgen um 8 Uhr müssen die Kabinen geräumt sein. So ein letzter Abend, er ist immer ganz schrecklich. Ich hasse das!
Ob ich auf der Kabine noch einmal Biscaya anschalte, ich weiß es nicht mehr. Gepackt habe ich das Meiste schon am Vormittag, also kann ich schnell ins Bett gehen. Der Wecker klingelt schließlich um halb Sieben. Die Balkontür muss ich geschlossen halten. Es ist windig und der Unterdruck lässt die aufgewirbelte Gischt ins Zimmer. Außerdem pfeift es irrsinnig.
Der Wecker, er muss gar nicht klingeln. Ich bin auch so schon früh genug wach. Vom Balkon aus kann ich die Skyline von Buenos Aires erblicken. Wir liegen im Containerhafen. Und es ist – still. Einfach still. Es ist Sonntag und da arbeitet in Argentinien sogar im Hafen kein Mensch. So auch noch nicht erlebt.
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Um 8 Uhr heißt es wie gesagt raus aus der Kabine. Noch vor 7 Uhr fange ich, die letzten Kleinigkeiten in die Koffer zu verstauen. Um 9 Uhr klopft es freundlich an die Kabinentür. Huch! Wo ist nur die Zeit hin?
Mein Problem: bis zum Schluss hatte ich ja noch mit einer Bestätigung meines Business Class Upgrades gerechnet. Doch nun, wo dieses ausbleibt, bin ich an nur noch 2x 23 Kilo Gepäck gebunden. Doch schon Koffer Nummer 1 bringt es auf derer 27! Also nochmal umpacken alles, Handgepäck (jetzt ja dann auch nur eines statt zwei) ausreizen. Irgendwann bin ich dann auf 24,5 und 25,5 Kilo. Augen zu und durch. Wird schon schief gehen.
Mein Flug geht erst am Abend und ausnahmsweise habe ich die Möglichkeit, bis 15 Uhr an Bord zu bleiben. Die Koffer darf ich derweil beim Hotel Manager ins Office stellen, dann begebe ich mich noch einmal zur Observation Lounge. Ich bin der einzige Gast heute.
Warum nicht von Bord gehen und Buenos Aires entdecken, werden jetzt manche fragen. Berechtigt. Ich bin nur einfach nicht in Stimmung. Ich möchte meine Quest noch bis zum Schluss auskosten. Die Heimreise nervt mich, die vielen Stunden im Flieger, der Flughafen, einfach alles.
Außerdem bekam ich gestern einen Zettel auf die Kabine. Eine sehr explizite Warnung vor Kriminalität in der Stadt. „Do NOT wear Rolex Watches“ stand da drauf. Wortwörtlich! Zwar habe ich für solche Gelegenheiten ja auch immer meine Swatch mit, allerdings keinen Zimmersafe mehr. Und überhaupt. Nö. Vielleicht ein anderes Mal.
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Lieber noch einmal Mittagessen im The Collonade. Mehr als zwei Double Chocolate Brownies bekomme ich heute aber auch hier nicht runter.
Kurz vor Abreise bekomme ich ein Mail. Von meinem Reisebüro. An einem Sonntag! Das Business Class Upgrade sei bestätigt. Halleluja! In der Lufthansa App allerdings kein Hinweis darauf. Egal, ich habe jetzt keine Zeit mehr. Ich muss weg.
Mit mir geht nahezu das gesamte Expeditionsteam von Bord, sowie fast alle Künstler. Großer Wechsel also heute. Mein Shuttle zum Flughafen wartet bereits an der Zollhalle und bringt mich direkt zum Flughafen Ezeiza.
Am Schalter versuche ich vom Gewicht meiner Koffer abzulenken, indem ich frage, wie das denn jetzt mit dem Upgrade sei. Nein. Kein Upgrade. Mist. Aber zumindest sagt sie nix wegen des Gewichts. Auch schonmal was. Die Supervisorin schaut nochmal drüber. Fazit: doch Upgrade! Zwar nur Gang, aber dennoch: Hauptsache schlafen!
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Den Schlaf versucht mir mein Sitznachbar am Fenster mit halbstündigen Toilettengängen ein wenig zu verleiden. Schafft er aber nicht. Recht ausgeschlafen lande ich am Vormittag in Frankfurt. Die längste Reise meines Lebens, sie hat ein Ende.
Zehn Tage ist meine Rückkehr nun her. 18 Tage mein Abschied von der Antarktis Und dennoch fühlt es sich an, als wäre es gestern gewesen. Alles ist noch so unwahrscheinlich präsent, selbst die Baselworld danach war allenfalls „ganz nett“. Ok, das mag auch an den präsentierten Uhren liegen. Aber psssst.
Was für eine Scheissidee! Das jedenfalls dachte ich noch vor fünf Wochen, als ich bei strahlendem Sonnenschein auf den Kanaren saß. Heute ist alles anders. Ich habe Sehnsucht nach dem, was ich am anderen Ende der Welt vorfand. Ich habe Ehrfurcht vor dem, was unser Planet an Schönheit und Friedlichkeit hervorbringt. Und ich empfinde Dankbarkeit, das alles einmal miterlebt haben zu dürfen.
Zum Abschied erhielt noch jeder Passagier einen USB Stick. Neben einigen Fotos, Informationen und der Reiseroute ist dort auch der Film der Reise enthalten. Er besteht einzig aus Aufnahmen dieser spezifischen Reise. Auf dem Rückflug schaute ich ihn mir am Laptop an. Das mag jetzt übertrieben klingen aber – mir kamen die Tränen. Noch jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, überkommt mich Gänsehaut. Und wenn ich eines weiß, dann, dass ich in diesem Leben noch einmal dorthin zurück will. Ins ewige Eis. Zipped & Clipped. Von mir aus auch mit der letzten Platte von Günter Noris im Gepäck. Gute Nacht!
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