Liste der Anhänge anzeigen (Anzahl: 13)
Warum schaukelt das so? Sind wir denn noch gar nicht da? Ein Blick auf die Uhr: es ist kurz nach halb Acht. Wir müssen da sein. Aber – das schaukelt so. Und knallt. Und vibriert. Wir können noch nicht da sein.
Klar, man könnte nun aufstehen und nachschauen. Auf der anderen Seite – wofür gibt’s die Marine Traffic App? Also schnell nachgeschaut. Seabourn Quest, Status: stopped. Wir sind also doch da.
Aber dieses Schaukeln und Vibrieren... Okay, stehe ich halt doch mal auf und schaue nach. Das, was ich sehe, stimmt mich nachdenklich. Wir liegen vor der Palmer Station. Das stimmt also schonmal. Nur das mit der geschützten Bucht, das hatte ich wohl falsch verstanden. Es herrscht Seegang. Ein langgezogener Schwell, so hoch, dass es den Bug der Quest selbst im Stand aus dem Wasser hebt. Heftig.
Anhang 206435
Entsprechend eindrucksvoll brechen die Wellen an den Felsen der Insel. Der Himmel ist grau. Es schneit. Horizontal. Okay. Das hatte ich mir definitiv anders vorgestellt.
Punkt 7:45 Uhr dann die obligatorische erste Durchsage. We are ready for the white group. Zipped & Clipped. White Group, das bin ich. Heute jedoch nicht. Denn: ich habe ja eine weitere Kajak Tour gebucht. Und wer eine Kajak Tour gebucht hat, der hat für jenen Tag ein Landing Ticket, dass ihn berechtigt, mit einer Gruppe seiner Wahl von Bord zu gehen.
Landing ist heute allerdings eh nicht. Heute gibt es nur eine Scenic Tour mit den Zodiacs. Meine Trumpf-Karte diesbezüglich spiele ich allerdings erst am Mittag aus, in der Hoffnung, dass das Wetter bis dahin besser wird.
Anhang 206436
Erst also die Kajak Tour. Meine startet um 10, die erste bereits um 8. Ich schaue nochmal raus und denke mir, das kann nicht funktionieren. Das kann einfach nicht funktionieren. Der Seegang ist viel zu stark, der Wind, einfach alles. Ich warte also gespannt auf die Durchsage, dass die Tour gecancelt wird. Doch die Durchsage kommt nicht.
Verdammt, wie viele Layer soll ich denn heute anziehen bei diesem Dreckswetter? Das geht doch gar nicht. Das kann nicht gehen. Alle drei Minuten gehe ich auf den Balkon um mich davon zu überzeugen, dass das nicht gehen kann.
Anhang 206439
Irgendwann entscheide ich mich dann für ein proaktives Vorgehen. Ich rufe den Guest Service Manager an und sage ihm, dass die Kajak Tour bei den Wetterbedingungen ja wahrscheinlich nun wirklich nicht stattfinden könne. Doch, sagt er mir. Findet statt. Die erste Gruppe sei grad draußen und sie hätten eine geschützte Bucht, wo die Kajaks dann zum Einsatz kämen. Werde bestimmt schön sagt er und wünscht mir viel Spaß.
Grmpf. Danke, danke. Also gut. Rein in die Klamotten. Zwei dicke Socken – reicht das für heute? Andererseits, die Neoprenschuhe sind so eng, dass da mehr eh ned geht. Am besten beide Thermounterhemden übereinander ziehen, Hemd, den Belstaff Cardigan (diesmal wirklich!). Reicht das? Doch noch eine Thermojacke drüber? Die hätte zumindest eine Kapuze. Allerdings wäre das kontraproduktiv ob des wasserdichten Halsabschlusses des Kajakanzugs.
Anhang 206437
Eine Durchsage unterbricht meine quälende Unschlüssigkeit. „Unfortunately“, sagt die Kreuzfahrtdirektorin und ich denke mir nur YESSS! YESSS! YEEEEEEEEESSSSS!!!!!
Bedauerlicherweise habe man keine Gegend gefunden, in der das Kajak fahren möglich sei und müsse daher die 10 Uhr Gruppe absagen. WOOOOOOHOOOOOO!!!!!!
30 Sekunden später klingelt mein Kabinentelefon. Wie ich vielleicht gerade mitbekommen hätte (Kunststück, wie nicht?) wäre meine Tour abgesagt. Sie würden mich aber sehr gerne auf die 12 Uhr Tour umschreiben, weil die ziemlich sicher stattfinden könnte. Und wenn doch nicht, dann eben die um 14 Uhr.
Verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt. Der Gedanke, nun alle zwei Stunden zwischen Hoffen und Bangen zu sein, ob oder ob nicht, den finde ich wenig attraktiv. Außerdem will ich ja mit dem Zodiac raus. Also sage ich der Dame des Landausflugteams das genau so, dass ich später eben mit den Zodiacs raus will und dass das halt deutlich besser sei für Fotos. Hat sie natürlich Verständnis für.
Anhang 206438
Als Tourtermin habe ich mir 11 Uhr vorgenommen, einstweilen mache ich es mir in der Observation Lounge gemütlich. Um 11 allerdings ist das Wetter noch immer nicht besser. Also bis zur nächsten, vorletzten Gruppe warten. Das wäre 12:30 Uhr.
Auch bis dahin ändert sich nicht viel an den Gegebenheiten. Also was soll’s. Bis auf den letzten Drücker mag ich nunmal auch nicht warten. Somit auf zur Kabine und fertig machen. Zipped & Clipped, das geht inzwischen ordentlich fix. Hinter zu Deck 5, Schuhe an und anstellen fürs Zodiac. Das dauert heute nochmal etwas länger, da die Bedingungen fürs Borden der kleinen Boote recht widrig sind.
Anhang 206431
Zwar dreht die Brückencrew das Schiff immer so, dass der Anleger bestmöglich geschützt ist, dennoch reißt es die Boote immer wieder einen halben Meter auf- und abwärts. Irgendwann dann bin ich an der Reihe, letztes Boot, letzter der einsteigt, somit Platz ganz vorne im Boot. Lieblingsplatz. Läuft.
Wir tuckern erst ein wenig herum, dann fahren wir zu einer kleinen Bucht mit massig Eis. Das ist schon ziemlich beeindruckend, da auf einmal mittendrin zu sein, zumal der Schwell das Packeis heftig nach oben und unten drückt.
Anhang 206432
Tiere gibt es auch zu sehen. Seehunde, Elephant Seals, Pinguine. Diesmal keine Gentoo- sondern Adéliepinguine. Auch schön. Ebenfalls dabei: Kormorane und Giant Petrels. Zu Deutsch laut Google: Riesensturmvogel.
Für mich heute grad deutlich spannender: die Eisberge überall. Irre Gebilde, riesengroß zum Teil. Zwei sind in etwas Entfernung zu sehen. Ob wir da hinwollen, fragt der Mann hinterm Steuer. Aber sicher doch! Dann aber schnell, meint er. Um so besser.
Anhang 206433
In unserem Zodiac sind nur 10 der 16 Plätze belegt, zu meiner Freude ist auch niemand dabei, der etwas gegen eine forschere Fahrweise hat und so pflügen wir im Eiltempo die großen Wellen entlang. Ein riesen Spaß. Ich liebe es. Kurz zu den Eisbergen, die aus der Nähe noch brutaler wirken, dann mit gleichem Tempo zurück in Richtung Palmer Station. Dort dürfen wir aber wie gesagt nicht anlanden. Schade, wäre sicher interessant gewesen.
Anhang 206434
Zurück zum Schiff. Was? Ehrlich? Jetzt schon? Ein Blick auf die Uhr verrät, dass wir tatsächlich schon rund anderthalb Stunden draußen sind. Krass, wie die Zeit hier vergeht.
Bei Rückkehr werde ich schon erwartet. Für 16 Uhr habe mich der Kapitän auf die Brücke eingeladen. Cool! Wir beide kennen uns wie gesagt schon von meiner ersten Reise auf der Quest. Als ich die Brücke betrete, ist das Team gerade dabei, die Rückholung der Zodiacs und Kajaks zu koordinieren. Außerdem muss das Schiff ständig mittels Bug- und Heckstrahlrudern in Position gehalten werden. Denn einen Anker haben wir auf Grund der Tiefe auch heute nicht gesetzt.
Anhang 206423
Wir setzen uns hin, trinken Tee und reden über eine Stunde über die Reise und das Schiff. Aus jedem Satz kann man heraushören, wie glücklich er ist, genau dieses Schiff zu kommandieren. Rund 100 Schiffe habe die Carnival Corporation. Dieses hier sei das Einzige, auf dem dem Kapitän vollkommen freie Hand gelassen werde. Ushuaia am Sonntag verlassen und zehn Tage später auf den Falklands sein. Das ist die Vorgabe. Alles dazwischen liegt allein in seiner Entscheidung. Eine Freiheit, die heutzutage in dem Metier ansonsten nicht mehr vorhanden ist.
Er zeigt mir Bilder von den letzten Reisen. Einmalige Momente. Jede Reise ist anders. Keine mit der anderen vergleichbar. Bezüglich angelaufener Punkte, Stimmungen, Wetter. Mit letzterem hatten wir wirklich enormes Glück. Vielleicht die beste Reise der Saison.
Er stellt mir seinen Ice Pilot vor. Ein erfahrener ehemaliger Eisbrecher Kapitän, der ihm über die gesamten Reisen zur Seite steht. Auch das keineswegs Usus bei solchen Reisen. Bei Seabourn allerdings schon.
Irgendwann muss aber auch er sich für die kommende Überfahrt vorbereiten und ich wechsle auf meine Kabine. Abschiedsstimmung keimt auf. Antarktis. Das war es jetzt also. Noch einmal setze ich mich auf meinen Balkon und genieße die Eindrücke, die da auf mich einfließen.
Anhang 206427
Und wie ich da so sitze, dem Knacken, Knistern und Bitzeln des Eises lausche, denke ich mir, genau diese Situationen in den vergangenen sechs Tagen dann vielleicht doch etwas zu wenig genossen zu haben. Vielleicht wäre es besser gewesen, Kamera und iPhone hier und da einmal mehr beiseite gelegt zu haben und stattdessen einfach nur „gewesen“ zu sein.
Nun allerdings ist es zu spät für diese Erkenntnis. Die Landschaft beginnt langsam, sich zu bewegen. Das war’s mit Antarktika. Definitiv. Kein Zurück. Ich schaue den schneebedeckten Gebirgen, den Gletschern noch lange nach. Ab und an zieht ein Eisberg vorbei. Gewohnter Anblick der vergangenen Tag, doch jetzt zunehmend seltener. Eine kleine Träne kann ich mir ob dieser Gedanken dann doch nicht verkneifen.
Anhang 206428
Recap & Briefing gibt es heute erneut, da kann ich aber nicht hin. Grund: man hat mir nochmal einen Tisch im Thomas Keller reserviert. Damit möglichst viele Gäste in den Genuss des Grill-Restaurants kommen, werden die Tische in der Regel doppelt vergeben. 18:30 und 20:30.
Meine Tischnachbarin heute ist eine ältere Dame aus West Hollywood. Kreuzfahrt Profi, allerdings das erste Mal mit Seabourn unterwegs. Genügend Stoff für Unterhaltungen ist also in jedem Fall vorhanden.
Was esse ich denn heute? Nochmal das Gleiche wie ein paar Tage zuvor? Irgendwie doof. Ich entscheide mich für eine Foie Gras Pastete als Vorspeise und das gegrillte T-Bone vom Kalb. Gerade dieses ist eine vortreffliche Wahl. Butterzart, saftig und wunderbar aromatisch. Ein Traum. Eigentlich dachte ich mir, zweimal Thomas Keller reicht. Nach diesem T-Bone bin ich mir dessen auf einmal aber gar nicht mehr so sicher.
Das mit den zwei Tischzeiten allerdings ist murks. Gerne hätte ich noch ein Glas Wein getrunken, doch sehe ich aus dem Augenwinkel schon die nächsten Gäste auf unseren Tisch warten. Da fühlt man sich doch direkt schuldig und so verlasse ich kurz nach halb Neun das Restaurant.
Anhang 206430
Was jetzt? Irgendwie ist es noch so früh. Also nochmal schnell ins Hauptrestaurant und den DACH Tisch besucht. Denn meine neugewonnenen Freunde habe ich heute noch gar nicht gesehen.
Wie denn die Kajak Tour um 8 Uhr war, frage ich. Määp. Falsche Frage. Sie erzählen mir, dass man sie auf die Zodiacs gebracht hat und dann erst später bemerkt habe, dass das mit den Kajaks nicht funktioniere. Als Entschädigung gab es dann eine Zodiac Tour. Eigentlich ganz nett gedacht. Doch in den Neoprenanzügen auf einem Zodiac durch die Gegend zu fahren, morgens um Acht ist dann doch eine ziemlich eisige Angelegenheit.
Bei den Berichten wird mir allein schon vom Zuhören kalt und ich bin froh, die für mich sicherlich richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Ich komme gerade richtig zum Nachtisch. Ob ich auch noch was will? Oh nein! Ein paar Minuten zuvor hatte ich mich erneut am Chocolate Layer Cake versucht – und bin erneut kläglich daran gescheitert. Dieses Ding ist so mächtig, dass es für mich als einziges Nahrungsmittel des Tages taugen würde.
Apropos. Das mit dem „Gürtel im engsten Loch tragen“ hat sich mittlerweile dann auch schon wieder erledigt. Dafür geht’s meinem Knöchel wieder besser. Also wieder ein paar mehr Treppen laufen. 15 Stockwerke sind es heute. Immerhin.
Statt an die Observation Bar geht es heute mal wieder in den Club. Morgen ist Seetag. Das verspricht doch geradezu, dass da – vergesst es. Bereits lange vor Mitternacht hört die Band auf zu spielen. Die Gästezahl? Nennen wir es mal „übersichtlich“.
Kurz nach Mitternacht übernimmt dann ein asiatisches Ehepaar das Füttern der Jukebox. Ihre Wahl fällt auf die größten Weihnachtsklassiker der amerikanischen Musikgeschichte. Kurz wünsche ich mir Cliff Carpenter zurück. Zeit für mich, zu gehen. Gute Nacht.