Zitat:
Original von Frederic
Ich hatte mich extra fein gemacht. Zu meinem Sakko im schottischen Landhauslook mit den ledernen Flicken am Ellenbogen trug ich mein Hemd mit dem gekürzten linken Ärmel und der etwas aufgeweiteten Manschette.
Prof. Dr. Dr. Huerlimaier empfing mich freundlich wie immer schon am Eingang.
"Schön Sie wieder zu sehen, Frederic", waren seine herzlichen Worte zur Begrüssung.
"Ich freue mich auch", entgegnete ich höflich und beschloss, alles Vorherige zu vergessen.
Meine neue Uhr blitzte gezielt unter dem Ärmel hervor. In einem Seitenblick bemerkte es Prof. Huerlimaeier, dem bei seinem Gegenüber nie etwas entgeht.
"Ah, das freut mich, Sie haben sich jetzt auch eine unserer Uhren gegönnt..."
Ich vermied es aus diplomatischen Gründen, ihn auf meine neue Invicta aufmerksam zu machen. Es ist meine Sache, was ich trage...
"Na ja, irgendwann überkommt es jeden", entgegnete ich vieldeutig.
"Letztes Mal hatten Sie aber kurz eine andere Uhr, wenn ich mich recht erinnere."
"Sie haben eine gutes Gedächtnis", lobte ich ihn, "es war eine Patek Philippe."
"Ja," antwortete er erfreut darauf, "Pattex.. habe ich schon einmal gehört."
Ich ging in meinen Gedanken kurz das Eidgenössische Strafgesetzbuch durch - das Kapitel über Totschlag im Affekt - und schloss es ganz schnell wieder.
"Patek", erwiderte ich, mit besonderer Betonung auf dem K, " es ist auch eine Genfer Firma."
"Quelle surprise, Frederic," er zeigte einen überraschten Gesichtsausdruck, " ich wusste gar nicht, dass es ausser Rolex sonst noch eine Firma in Genf gibt."
Ich war drauf und dran, ihm die anderen Namen aufzuzählen - aber ich liess es bleiben. Er war halt der eingefleischte Rolesianer, den es immer wieder überrascht, dass es angeblich noch andere mechanische Uhren geben soll.
"Mit Senior Aquirra, Conde di San Pedro de las Cases haben Sie mich aber ganz schön auf den Arm genommen", fuhr ich fort,
"Was ist er eigentlich wirklich? Ihr spanischer Pförtner?"
Huerlimeier beschwichtigte, "Nein, er ist schon unser Einkäufer - ausserdem ist er für die Mythen und das >Bling< verantwortlich."
"Bling???" mein Gesichtsausdruck war die Frage in Person.
"Sie erfahren das schon noch - nur Geduld" bremste mich Huerlimeier.
"Wissen Sie, das mit den Pferdetrensen ist einfach eine schöne Geschichte. Unsere Kunden lieben solche Geschichten und irgendwann verselbstständigen sich solche Geschichten, landen in Uhrenzeitschriften, redaktionellen Beiträgen und Büchern.
Dann werden sie Wirklichkeit. Reale transformierte Wirklichkeit. Wie der Rolex Stahl. Deswegen kommen Sie ja zu mir."
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und fuhr fort :
"Unser guter Wilsdorf kannte sich weniger mit Uhren aus als mit Mythen. Zum Glück muss ich heute sagen - sonst gäbe es diese wunderschöne Firma nicht mehr und wie hätten uns bei der 48sten Komplikation wirtschaftlich den Hals gebrochen."
"Wissen Sie, Frederic", sagte Prof. Huerlimeier weiter bedeutungsvoll, "die Leute sagen immer >ein Mythos wurde geboren<. Sie vergessen, dass vor der Geburt die Zeugung steht.
Ein Mythos muss zuerst gezeugt werden. Sie kennen doch sicher die Geschichte mit den POW Uhren?"
"POW? Prisoner of War?", ich verneinte, diese Geschichte hatte ich nie gehört.
Huerlimeier erklärte mir, dass Wilsdorf allen allierten Offizieren, die in einem deutschen Kriegsgefangenenlager waren, auf Wunsch eine Rolex kostenlos schickte, mit einem netten persönlichen Brief, eine fällige Rechnung bitte erst nach dem Krieg zu begleichen - irgenwann um 9 Uhr nach dem Krieg."
"Genial!", schwärmte Prof. Dr. Dr. Huerlimeier, "das ist wie die Werbung im Fahrstuhl zur Chefetage - es sind die richtige Leute drin und niemand kommt so schnell raus. In einem solchen Lager herrscht endlose Langeweile und eine neue Rolex unter der richtigen Zielgruppe..." Er küsste beide Fingerspitzen.
"Und bei den einfache Mannschaften?" ich stellte die Frage ganz ohne Hintersinn.
"Die hätten die Uhr sowieso nicht bezahlen können" entgegnete Huerlimeier arglos.
Ich war wie immer geplättet - so wie meine Invicta es einmal werden sollte.
"Wissen Sie eigentlich, was Trois Seize Elle ist, Frederic?" fragte Prof. Huerlimeier mich mit einem Ton, den nur die Eingeweihten als leicht herablassend indentifizieren konnten.
Ich verschwieg grosszügig, dass ich meine Dissertation über induzierte Fehler im Kristallgitter von Martensit machte. Da es nur Cum - mit fehlendem Summa - Laude war, ist es eigentlich auch nicht erwähnenswert.
"Dreihundersechszehn L?, etwa eine Stahlsorte?" antwortete ich leicht fragend.
"Es ist eine Legierung", belehrte mich Prof. Huerlimeier, "eine Legierung - Eisen mit einem Zuschlag von 18 Teilen Chrom, 14 Teilen Nickel und 3 Teilen Molybdän."
"Aha und was ist das Besondere daran?"
"Das geht fast in das Metaphysische", fing Prof. Dr. Dr. Huerlimeier das Dozieren an. Ich schloss meine Augen und im Geiste sass ich in der Aula Max auf meinem alten Platz, links neben dem Eingang.
"Wissen Sie, Ausgangsmaterial für diesen besonderen Stahl ist vorsortierter Schrott, den unser Lieferant von Schrotthändlern und von der metallverarbeitenden Industrie bezieht oder aus den Produktionsüberresten der eigenen Werke wiederverwertet.
Dieser Qualitätsschrott wird in Elektrolichtbogen Öfen mit Kapazitäten von 25 bis 70 Tonnen beispielsweise von der Firma Böhler am Standort Kapfenberg in Österreich bei Temperaturen um 1.600° C geschmolzen.
Die Schmelze wird dann in sogenannte Pfannen umgegossen, in denen weitere metallurgische Arbeit geschieht und die endgültige Legierung bestimmt wird. Die wesentlichsten Legierungselemente sind bei unserem Trois Seize Elle Uhrenstahl Chrom, Nickel und Molybdän."
"Ja, aber das kann doch jeder" entgegnete ich darauf und unterbrach seinen Redefluss.
"Nein, eines der Geheimnisse besteht im Schrott - und darum nehmen wir auch nur Stähle aus österreichischer Fertigung. Im Salzburger Land ist der Anteil an Porsche, BMW und Ferrari extrem hoch - oder wollen Sie etwa Schrott aus dem Rurgebiet haben? Opel Manta und Ford Fiesta?"
Prof. Dr. Dr. Huerlimeier musste sich sichtbar schütteln.
"Ah... und der Ferrari Schrott ist also das Besondere?" bohrte ich nach.
"Sie muessen metaphysisch denken lernen", ermahnte mich Prof. Dr. Dr. Huerlimeier.
Om Mani Padme Hum. Om Mani Padme Hum. Ich dachte lautlos an meine Zeit im Omkarananda Ashram in Muni-ki-reti.
"Stahl hat ein Gedächtnis - das Gedächntnis ist im Gitter. Stahl ist intelligenter, als wir wahrhaben wollen."
Ich philosophierte : "Solange eine Feder WEISS, dass sie eine Feder ist, IST sie eine Feder.
Wenn eine Feder nicht mehr weiss, dass sie eine Feder ist, ist sie KEINE Feder mehr."
Prof. Dr. Dr. Huerlimeier blieb der Atem stocken - völlig verblüfft brachte er hervor : "Ja, Frederic - so ähnlich, wo haben Sie jetzt das denn her?"
Ich schwieg wieder - Om Mani Padme Hum....
"Und mit dem Ferrari und Porsche Schrott gehen dann die Uhren besonders schnell", wollte ich witzig sein. Fehlanzeige. Voll daneben. Peinlich...
"Das ist ja das Merkwürdige", antwortete im tiefsten Ernst Prof. Dr. Dr. Huerlimeier, "wir können es auch nicht erklären, deswegen bestehen wir immer auch auf einer Melange mit österreichischem Bundesheer - das steht meistens.
Und so wird dann die Mischung exakt auf unsere Bedürfnisse ausbalanciert. Unsere Regleusen merken es immer als erste, wenn der Schrott zu schnell wird."
Nein, ich habe mich nicht brüllend unter dem Tisch gewälzt, nein ich habe auch nicht laut trompetend losgeprustet, nein - auch nicht aus Rücksichtnahme.
Wer sich ein bisschen mit den Quantenphysikalischen Eigenschaften der Materie beschäftigt, glaubt ganz schnell an kleine grüne Männchen oder zumindest an bucklige Hexen mit spitzen Hüten und an eine Scheibenwelt, die auf dem Rücken von 4 Elephanten steht, die wiederum auf einer riesigen Schildkröte stehen.
"Aber damit sind wir noch lange nicht bei Trois Seize Elle gelandet", fuhr Huerlimeier fort. Er blickte um sich und vergewisserte sich, dass alle Türen geschlossen waren und niemand gerade die Schlüsselllöcher reinigte.
"Die Zusätze machen es. Was glauben Sie, wieso wir den Vertrag mit Tiger Woods machten. Wegen seinen schönen Augen? Nein, er schickt uns alle gespielten Eisen - mit den geheimen Zusätzen kommen sie in unsere Schmelze. Das gibt die Schlagkraft unserer Uhren - Sie muessen das natürlich Metaphysisch sehen.
Eine solche Meisteruhr kann man nur Metaphysisch begreifen."
Es war ein wenig Metaphysik zuviel in seinem Vortrag, aber vermutlich kann man eine solche Uhr nicht nüchtern betrachten. Ich sah im Geiste die typische Goldkettchen und Rolexbrillis Fraktion mit den grossen Sonnenbrillen im Lotussitz meditieren. Om Mani Padme Hum. Es wehte schwach ein eisiger Wind durch das Büro - die Gänsehaut gab sich schnell wieder.
Ein Stahl, der sich erinnert, einmal ein Ferrari gewesen zu sein. Ein Stahl, den das österreichische Bundesheer bremsen muss. Wieso eigentlich nicht ein Stahl, der einfach nur stolz ist, eine Rolex zu sein? Was macht IWC in diesem Fall? Wie denkt Omega - und woher kommt das Gold der PP? Die Wichtigkeit solcher Fragen kann nur der nachvollziehen, der sich regelmässig auf Watchbizz tummelt.
Er atmete tief durch :
"Kommen Sie, ich zeige Ihnen unseren Stahl und die Gehäusefertigung. Senior Aquirra wird auch da sein. Wegen des >Blings<. Wir fahren mit meinem Auto."
Ich war tief beeindruckt, wie immer. Much Bling for the Buck?
Wir fuhren los..........