Zitat von Donluigi
Das war echt ein sehr spannender Besuch gestern!
Um ehrlich zu sein: eigentlich wollte ich garnicht mit. Irgendwie hab ich keine Lust mehr auf Uhrenfirmen, die so aus dem Nichts aufpoppen und irgendwie halt so Uhren machen. Die ersten Bilder haben mir garnicht gefallen: wieder so ein Hersteller, der einen auf Oligarchenausstatter macht, bei Breguet und co. marodiert und halt so rumwurschtelt. Okay, den Namen hatte ich schon mal gehört und ich wollte die Jungs mal wieder sehen, also komm ich halt mit.
Und es sollte tatsächlich eine Überraschung auf mich warten.
Die Werkstatt von Jochen Benzinger ist einer der faszinierendsten Läden, die ich je gesehen habe. Was hier auf den ersten Blick wie ein Steampunk-Porno aus der Gedankenwelt von Hugo Cabret wirkt, ist in der Tat ein Konglomerat der seltensten und kostbarsten Maschinen, die unsere Brangsche so zu bieten hat. Hier stehen ein gutes Dutzend perfekter Guillochiermaschinen rum, Meisterwerke der Ingenieurskunst und hier noch in täglichem Einsatz.
Was ist guillochieren?
Die Technik des Guillochierens beschreibt eine halbautomatische Graviertechnik, mit der man sehr komplexe, auf mathematischen Prinzipien basierende Gravuren ausführen kann. Die berühmtesten Kunstwerke mit Guillochetechnik hat die legendäre Firma Faberge zur Zarenzeit hergestellt. Typisch für diese Technik sind ins Metall geschnittene Linien, die in exakter Parallelität um das Werkstück laufen und in verschiedenen Wellen, Kreisen, Rhythmen und Mustern exakt aufeinander aufbauen. So entstehen wunderbare, hochkomplizierte Linien- Wellen-, Rauten- und Kreismuster, die ausgesprochen dekorativ sind. Auch in der Uhrenbrangsche kennt man derartige Techniken, berühmt geworden sind guillochierte Zifferblätter durch die Firma Breguet.
Zu Anfang der Technik war das Guillochieren eigentlich die preiswerte Alternative zur Handgravur. Diese wird von einem Graveur ausgeführt, er verwendet hierbei einen Stichel - eine Kreuzung aus Meißel und Stift - und treibt mit diesem Stiuchel Linien ins Metall, indem er einen Span aushebt. Die Lücke, aus dem der Span entnommen wird, ist später die Linie. Die Technik ist unglaublich aufwändig, man muß den Stichel immer perfekt in Position halten, sitzt er zu flach, gleitet man ab, sitzt er zu steil, gräbt man sich ins Metall. Fehler können unmöglich korrigiert werden, eine Unachtsamkeit kann die Arbeit von Tagen zunichte machen. Als der Bedarf nach dekorativen und kostbaren Stücken aus Metall wuchs und nicht nur mehr Königshäuser nach Kleinodien lechtzten, sondern auch das Großbürger- und das Bürgertum, entwickelten findige Ingenieure zur Jahrhundertwende zum 20. Jhr. entsprechende Maschinen, mit denen man mit wesentlich geringerem Aufwand und mit deutlich geringerer Fehlerquote - und natürlich mit wesentlich höherer Präzision - derartige Dekorationen anbringen konnte.
Der eine oder andere kennt vielleicht noch die Spirographen. Das waren so Zahnräder, mit denen man mit etwas Übung interessante geometrische Muster zeichnen konnte. Das Prinzip der Guillochiermaschinen ähnelt diesem Spirographenprinzip durchaus.
Die Verwendung dieser Maschinen ist immer noch große Kunst, die Vielzahl der möglichen Verstellungen wollen gehandhabt werden, im Prinzip bietet jede Maschine unendlich viele Gestaltungsmöglichkeiten. Auch ist der Begriff "Maschine" eigentlich falsch, denn hier geschieht nichts automatisch, der einzige Stromverbraucher an so einem Werkzeug ist die Lampe, die das Werkstück beleuchtet. Alles muß von Hand gemacht werden: das Drehen des Werkstücks, der Druck auf den Gravierstichel, die Einstellung der verschiedenen Stepper etc. Und auch hier ist höchste Präzizion vonnöten, da man im Bereich von Hundertstelmillimetern hantiert.
Waren diese Maschinen um die Jahrhundertwende durchaus in einigen Schmuckfirmen zu finden - vermutlich die teuersten und kompliziertesten Maschinen bis dato - geriet die Technik durch wechselnde Mode und durch neue Techniken der Imitation der Graviertechnik (ätzen, prägen, gießen etc.) in Vergessenheit. Der Krieg tat sein übriges. Die Maschinen konnten irgendwann mal zum Altmetallpreis entsorgt werden, die Zeit ging weiter.
Hier kommt Jochen Benzinger ins Spiel, der in den 80ern in Pforzheim zum Graveur ausgebildet wurde und direkt nach Beendigung seiner Lehre begann, sich auf Guillochetechnik zu spezialisieren. Er begann, die Maschinen zusammenzutragen, der Exodus der P****heimer Schmuckindustrie half ihm hierbei, die Maschinen wurden vom Prunkstück zum im Weg stehenden Staubfänger, den niemand bedienen konnte. Er trug die Maschinen Stück für Stück zusammen und das, was er heute in seiner Halle beherbergt, ist ein unglaublicher Schatz, ich vermute, daß es keine weitere Ansammlung derartiger Geräte weltweit gibt. Derartige Maschinen werden schon lang nicht mehr hergestellt, wer so etwas bedient, muß Künstler, Handwerker, Improvisateur, Ingenieur und Maschinenbauer sein. Zugute kommt ihm die unfaßbar unverwüstliche Qualität der Maschinen. Wenn man sieht, wie präzise und satt, wie völlig ohne Spiel die Supporte, Schlitten und Führungen ineinandergleiten, miteinander korrespondieren und auf einander abgestimmt sind, der muß schon den Hut vor der Ingenieursleistung ziehen. Immer bedenkend, daß etwa die Führungen für die schweren Schlitten damals noch von Hand plangefeilt wurden und nicht wie heute maschinell geplant werden.
Ich durfte während meiner Ausbildung zum Goldschmied selber mal an einer Guillochiermaschine arbeiten und wollte immer eine haben - hab aber nie eine bekommen. Jetzt weiß ich, wo die alle gelandet sind :D :motz:
Jochen Benzinger selbst ist ein Meister seines Fachs. Man sieht oben, mit welcher schlafwandlerischen Lässigkeit er ein etwa centgroßes Werkstück graviert. Das geht alles frei hand und mit leichten Skizzierungen, da wird nix programmiert, nix CNC-gefräst, nix reproduziert. Den Stichel führt er so gleitend elegant übers Metall wie Jimi Hendrix seinerzeit seine Finger über die Gitarrensaiten. Was scheinbar so leicht aussieht, ist ein Handwerk, daß so in dieser Form heute nur noch eine Handvoll Menschen beherrschen. Unglaublich.
Entsprechend berufen wird die Firma, wenn es um ausgewählte Unikate renommierterer Hersteller geht. Die Fotogalerie in der Werkstatt spricht Bände, ebenso die Beschriftungen auf den Kabinettschubladen. IWC läßt seine Tourbillons ebenso bei Benzinger skelettieren wie Chronoswiss, Blancpain oder De Witt. Uhren, Kleinplanetarien und Zierrat wird hier hergestellt und verarbeitet, der bemerkenswerte Relaunch der Marke Faberge basierte komplett auf dem Know-How der Firma Benzinger. Und tatsächlich: alles, was an Benzinger-Uhren gestaltet ist, wurde von Hand gestaltet, das sind alles handgefertigte Unikate, keine Reproduktion, keine Massenfertigung, jedes Werk benötigt etwa 80 Stunden Handarbeit, bis eine Uhr aussieht, wie sie aussieht. War Benzinger zunächst nur anonymer Zuarbeiter, begann irgendwann die Firma Chronoswiss, seinen Namen auf Zifferblätter zu setzen, es folgten weiter Aufträge aus der Riege der damals aufstrebenden jungen deutschen Uhrmacher wie Jörg Schauer oder Rainer Brand und irgendwann entstand dann die Idee, eigene Uhren herzustellen.
Man kann nun streiten, ob so eine Uhr den Zeitgeschmack trifft oder nicht, ob sie einem gefällt oder nicht. Aber eigentlich ist das nebensächlich. Mit manchen Modellen tu ich mich schwer, manche hätte ich sofort mitnehmen können. An den Preisen scheiterts nicht, die Uhren sind prinzipiell absolut zahlbar. Was u.a. daran liegt, daß den "Standard"-Uhren Werke von ETA und ausgesuchte alte Kaliber basieren. Wers wissen will, kann die Firma "Grieb&Benzinger" beauftragen. Hier wird ohne Rücksicht auf Verluste aus dem vollen geschöpft. Tourbillon mit Minutenrepetition? Kein Problem.
Sympathisch dabei: Benzinger ist Null Marketingmann. Dem war das eigentlich eher unangenehm, daß da auf einmal Honks durch die Werkstatt stromerten. Er hat alles geduldig erklärt, vorgeführt und stand geduldig Rede und Antwort. Aber eben nicht mit der Überheblichkeit und Grandezza eines Fernsehkochs, der grad die Herstellung eines Mettbrötchens zur großen Kunstform und sich selbst zum Halbgott erhebt, sondern mit der Selbstverständlichkeit eines Werkmeisters, der einem Gesellen geduldig und präzise erklärt, wie es geht. Das war ausgesprochen angenehm. Nicht, daß die Benzinger-Jungs alles getan hätten, um uns den Aufenthalt angenehm zu gestalten: es gab ein kleines Catering mit reichlich Getränken und Häppchen, wir wurden alle per Handschlag begrüßt und verabschiedet und es wurde alles getan, um uns willkommen zu heißen. Das aber eben nicht von einer gut geölten Public-Relations-Armada, sondern halt von den Jungs, die die Firma am Laufen halten und absolut mit Herzblut dabei sind. Das war schon großes Kino.
Wie gesagt: zu den Uhren kann man stehen, wie man will. Aber man muß wissen, daß hier tatsächlich jahrhundertealtes Know-How und erstaunliches Handwerk steckt. Wer so eine Uhr besitzt, besitzt ein Unikat aus Meisterhand. Wieviele Marken wünschten, daß sie just sowas liefern könnten - und wieviele gaukeln vor, daß sie just das tun...