Morgenlauf
von
am 04.09.2011 um 11:21 (5169 Hits)
Sonntag, 5.45: Wecker klingelt. Aber ich bin ohnehin schon wach. In der Hochphase des Trainings läuft alles von allein. Hoch, 2 Stück Obst, ein Glas lauwarmes Wasser. Noch kurz ins Netz, Vergleichszeiten des gestrigen Tags auf den Runtimer laden. Die Kenianer haben wieder gut vorgelegt, schnelle Burschen. Aber man darf sich da nicht von beeindrucken lassen, da ist auch viel Taktik dabei. Rennen werden im Kopf gewonnen. Und dort verliert man sie auch. Atmung ist wichtig. Takt, Frequenz, Einklang, Erfahrung. Die kochen auch nur mit Wasser.
Im Wald dann schnell noch die Schuhe an. Federleicht und perfekt im Sitz. Mein Fuß bildet sofort eine Einheit mit ihm, die Jungs haben wieder ganze Arbeit geleistet. Erste Aufwärmübungen. Der Schuh greift gut, lautlos im Aufsatz und kraftvoll im Abstoß. "Wie ein Puma", denke ich, aber nur kurz. Das Training wartet. Die Bedingungen sind perfekt. Luft ist sauber, der Frühnebel macht sie erfrischend und reichhaltig, das Waldmoos ist angenehm feucht. Guter Grip. Der Sandboden gibt unter Belastung leicht nach, die Feuchtigkeit hat eine angenehm beschaffene Kruste geschaffen. Waldboden, normal ja nicht mein bevorzugtes Terrain, aber das spektakuläre Panorama entschädigt.
Die Strecke ist jetzt quasi menschenleer, um die Uhrzeit sind nur die Profis unterwegs. Man versteht sich wortlos. Angenehm, das ganze Gepose und Gebalze fällt weg. Man kennt seine Zeiten, weiß um Qualitäten und Leistungstiefs der anderen, nickt anerkennend und spielt sein Programm ab. ich mag den Wettkampf, aber nicht hier, nicht jetzt. Der Weg ist das Ziel.
Die ersten Schritte in leichtem Tempo. Sehnen und Muskeln harmonieren perfekt, sitzen stramm und geschmeidig wie ein Maßanzug. Das Blut pumpt frischen Waldsauerstoff durch den Körper. Der dreht jetzt hoch wie ein Ferrari im Leerlauf. Quäl mich! Zwiebel mich! Aber jetzt ist Contenance entscheidend. Betriebstemperatur muß erreicht werden, jegliche Überbelastung jetzt könnte gravierende Folgen haben. "Anfängerfehler" denke ich, und der Lauf 98 durch die Kordilleren kommt mir in den Sinn.
Noch 3 Kilometer die leichte Böschung hoch und es kann losgehen. Der Fuß findet den richtigen Halt instinktiv, das Terrain hier kenne ich wie meine Westentasche. Hier könnte ich blind laufen. Wobei: laufen trifft es nicht. Es ist eher ein schweben, mit gelegentlichem Bodenkontakt der Füße, um Richtung zu beeinflussen und um sich zu vergewissern, daß der Boden noch da ist. Mein Körper schneidet durch die Morgenluft wie ein aerodynamisch perfekt geformtes Objekt von Arp oder Brancusi. Kaum eine Verwirbelung ist zu spüren. Alle Komponenten laufen im Einklang, perfekte Effizienz. Das Zusammenspiel der Muskeln und Sehnen, der Adern und Venen, Gelenke federn, Muskeln kontrahieren. Geschmeidigkeit. Atmung. Taktfrequenz. Gefühlt dürfte mein Puls jetzt bei 80 liegen, denn der Kopf arbeitet jetzt auf einer Ebene jenseits der Leistung und Belastung. Vor meinem geistigen Auge sehe ich das Meer...
...ein Scheiß! Aber pünktlich um 10 auf dem Berg gewesen, und das, obwohl es gestern bis halb 4 ging. Micki fands scheiße, zu kalt, zu früh. Außerdem kennt er es nicht, daß er hinterher rennen muß. Aber er war tapfer. Wir waren tapfer. Die 2 Kilometer fühlten sich an wie ein Sack Nüsse. Aber immerhin fast am Stück durchgelaufen und nach den kurzen Pausen hat es Spaß gemacht, wieder "Gas" zu geben. Zeit nehm ich noch nicht, im Gehen wäre ich nicht viel langsamer.
Aber hey: ich war laufen!