Bullit
01.12.2020, 11:34
O’Leary spazierte fröhlich vor sich hin summend durch sein Viertel und genoss die wohltuenden Strahlen der Novembersonne. Diese Pandemie-Situation konnte einem mit der Zeit schon gehörig auf die Nerven gehen, aber er hatte sich inzwischen ganz gut damit arrangiert. Seine seit Beginn seiner Hobby-Uhrmacherei bisher langwierigste und schwierigste Uhrenrevision (es handelte sich um eine alte Para mit Valjoux 72) stand kurz vor dem Abschluss und die Verfügbarkeit von Augustiner Hell in seinem Stamm-Supermarkt hatte sich normalisiert. Kurzum, alles war gut. Oder doch nicht ganz.
Es war nun schon viele Jahre her, dass O’Leary einem Uhren-Forum im Internet beigetreten war. Abgesehen vom virtuellen Austausch gab es im Umfeld dieses Forums auch immer mal wieder Treffen im wirklichen Leben und so hatte er bei einem Weißwurstfrühstück im Frühjahr 2007 Klan kennengelernt. Schwierig zu sagen, ob sie über die Jahre Freunde geworden waren, Freundschaft ist ein großes Wort, dachte er sich. Aber gute Kumpel allemal, neben der Leidenschaft für Uhren teilten sie den Enthusiasmus für 1328, und das war doch eine solide Grundlage. Dennoch war O’Leary jetzt ins Grübeln gekommen. Eine Freundschaft kippt irgendwann, wenn sie zu einseitig wird, dachte er sich. Und vielleicht war das Fass tatsächlich gerade übergelaufen.
O’Leary hatte auf dem Gebiet der mechanischen Uhren über die Jahre unzählige Male von seinem Kontakt zu Klan profitiert, sowohl was komplette Zeitmesser als auch seltene Teile anging. Eine Rolex 1655, eine tropical Speedmaster, eine super-exotische Rolex Zephyr, Mk II Daytona-Pusher, diverse T19-Gläser - die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Und im Gegenzug? Hm, da fiel ihm wenig bis gar nichts ein. Und jetzt hatte er den Bogen wahrscheinlich überspannt.
Das Uhren-Forum war einstmals von einigen Enthusiasten gegründet worden, von denen sich einer inzwischen als sogenannter Influencer verdingte. O’Leary war ein irischer Arbeiter alter Schule und konnte so einer Form des Broterwerbs nur wenig abgewinnen. Umso peinlicher berührte es ihn, als es der Influencer vor einigen Wochen dann tatsächlich geschafft hatte ihn „anzufixen“ (so sagt man wohl). Das Objekt der Begierde war ein alter Dugena-Chronograph mit 7733-Valjoux-Werk und einem atemberaubenden Sonnenschliffblatt, der demnächst zur Versteigerung anstand. Der aufgerufene Startpreis war für eine Dugena mit Feld, Wald und Wiesen-Werk jedoch, nunja, reichlich optimistisch angesetzt. Aber O’Leary wusste, dass Klan bei der Versteigerung zugegen sein würde und so bat er ihn, im Falle der Nichterreichung des Startpreises ein Untergebot abzugeben. Dann hörte er nichts mehr.
Einige Wochen später erfuhr O’Leary, dass die Dugena unter Berücksichtigung des Aufgelds für über 4000 Euro versteigert worden war. Verrückte Welt, dachte er sich kopfschüttelnd, diese Uhren wechselten normalerweise für weit unter 2000 Euro den Besitzer. Er hakte die Episode gedanklich ab, zumindest was die Dugena anging. Aber dass Klan sich nicht mehr gemeldet hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf. War er sauer? War das ein Gefallen zu viel, den O’Leary da mal wieder frech eingefordert hatte? Aber sich einfach nicht mehr zu melden, das passte nicht, das war zu einfach, dachte O’Leary. Und er sollte recht behalten.
Ein paar Tage später saß er am Abend an seinem Küchentisch und gönnte sich zum Tagesausklang ein kühles Augustiner, als er unvermutet eine E-Mail von Klan erhielt. Keine großen Höflichkeitsfloskeln, einfach nur knapp: „Dugena hat ja nicht geklappt, wär die hier was für dich? Kann ich dir günstig vermitteln, braucht aber ‘ne Reinigung.“ Beigefügt war ein Bild eines Vintage-Chronographen mit 2 Totalisatoren und Datum. O’Leary besaß bereits 2 Uhren dieser Kategorie und wollte die Mail schon wegklicken, als er sich plötzlich heftig verschluckte und einen Schwall Bier über die Tastatur des Laptops prustete. Die Krone! Die Krone war links! Ein prüfender Blick auf den linken Totalisator offenbarte eine ungewöhnliche Teilung. Das war keine kleine Sekunde, das war ein Stundenzähler! Die Puzzleteile in seinem Gehirn fielen an ihren Platz und bildeten einen Namen: Buren 11. Dann fiel ihm die Bierflasche aus der Hand.
Bis zur Mitte der 60er Jahre hatte es quasi nur Chronographen mit Handaufzug auf dem Markt gegeben, dann begann ein regelrechter Wettlauf um den ersten Automatik-Chronographen. Neben Zenith und Seiko ging auch ein Zusammenschluß so großer Namen wie Heuer, Breitling, Buren und Depraz an den Start. Das technische Konzept sah vor, ein flaches Automatikwerk von Buren mit einem auf einer zusätzlichen Ebene installierten Chronographenmechanismus von Depraz zu verheiraten. Heraus kam schliesslich das Caliber 11 und O’Leary wusste nur zu gut, dass es praktisch unmöglich war auch nur einen Artikel im Netz zu finden, der ohne die Wörter „Kult“ und/oder „legendär“ auskam.
Zitternd öffnete O’Leary ein neues Bier. Das war also Klans Plan. Genial. Es gab keine elegantere Möglichkeit einen Hobby-Uhrmacher auf die Bretter zu schicken, als ihm freundlich lächelnd ein servicebedürftiges Buren 11 unterzuschieben. Das verschachtelte Basiswerk. Die filigrane Automatik mit dem Microrotor. Der völlig zerklüftete Chronographen-Mechanismus. O’Leary sah sich bereits im Geiste fluchen. Er sah sich brüllen. Er sah sich stundenlang auf Knien auf dem Küchenboden herumrutschen, um die während der Demontage weggeflogenen Federn und Kleinteile wiederzufinden. Und die Krönung war, dass er den Plan vollkommen durchschaute, aber trotzdem nicht in der Lage war Widerstand zu leisten. Genial.
O’Leary nahm noch einen großen Schluck Augustiner, dann musste er lächeln. Er nahm noch einen Schluck und sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Schließlich brach er in ein vollkommen irres Gelächter aus und hämmerte die sieben Buchstaben in die Tastatur:
Nehm ich!
256248
256249
256250
256251
256252
Gruß
Erik
P.S.: Es stellte sich schließlich heraus, dass die Uhr mit einem Buren 12 ausgestattet ist, welches sich aber lediglich in der Schwingungsfrequenz der Unruh vom 11er unterscheidet. Und ich glaube auch nicht, dass Klan wirklich zornig war. Aber die Anspielung auf Star Trek II gefiel mir so gut. :D
P.P.S.: Alex, vielen Dank für den angenehmen Deal, hoffentlich laufen wir uns mal wieder über den Weg! :dr::dr:
Es war nun schon viele Jahre her, dass O’Leary einem Uhren-Forum im Internet beigetreten war. Abgesehen vom virtuellen Austausch gab es im Umfeld dieses Forums auch immer mal wieder Treffen im wirklichen Leben und so hatte er bei einem Weißwurstfrühstück im Frühjahr 2007 Klan kennengelernt. Schwierig zu sagen, ob sie über die Jahre Freunde geworden waren, Freundschaft ist ein großes Wort, dachte er sich. Aber gute Kumpel allemal, neben der Leidenschaft für Uhren teilten sie den Enthusiasmus für 1328, und das war doch eine solide Grundlage. Dennoch war O’Leary jetzt ins Grübeln gekommen. Eine Freundschaft kippt irgendwann, wenn sie zu einseitig wird, dachte er sich. Und vielleicht war das Fass tatsächlich gerade übergelaufen.
O’Leary hatte auf dem Gebiet der mechanischen Uhren über die Jahre unzählige Male von seinem Kontakt zu Klan profitiert, sowohl was komplette Zeitmesser als auch seltene Teile anging. Eine Rolex 1655, eine tropical Speedmaster, eine super-exotische Rolex Zephyr, Mk II Daytona-Pusher, diverse T19-Gläser - die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Und im Gegenzug? Hm, da fiel ihm wenig bis gar nichts ein. Und jetzt hatte er den Bogen wahrscheinlich überspannt.
Das Uhren-Forum war einstmals von einigen Enthusiasten gegründet worden, von denen sich einer inzwischen als sogenannter Influencer verdingte. O’Leary war ein irischer Arbeiter alter Schule und konnte so einer Form des Broterwerbs nur wenig abgewinnen. Umso peinlicher berührte es ihn, als es der Influencer vor einigen Wochen dann tatsächlich geschafft hatte ihn „anzufixen“ (so sagt man wohl). Das Objekt der Begierde war ein alter Dugena-Chronograph mit 7733-Valjoux-Werk und einem atemberaubenden Sonnenschliffblatt, der demnächst zur Versteigerung anstand. Der aufgerufene Startpreis war für eine Dugena mit Feld, Wald und Wiesen-Werk jedoch, nunja, reichlich optimistisch angesetzt. Aber O’Leary wusste, dass Klan bei der Versteigerung zugegen sein würde und so bat er ihn, im Falle der Nichterreichung des Startpreises ein Untergebot abzugeben. Dann hörte er nichts mehr.
Einige Wochen später erfuhr O’Leary, dass die Dugena unter Berücksichtigung des Aufgelds für über 4000 Euro versteigert worden war. Verrückte Welt, dachte er sich kopfschüttelnd, diese Uhren wechselten normalerweise für weit unter 2000 Euro den Besitzer. Er hakte die Episode gedanklich ab, zumindest was die Dugena anging. Aber dass Klan sich nicht mehr gemeldet hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf. War er sauer? War das ein Gefallen zu viel, den O’Leary da mal wieder frech eingefordert hatte? Aber sich einfach nicht mehr zu melden, das passte nicht, das war zu einfach, dachte O’Leary. Und er sollte recht behalten.
Ein paar Tage später saß er am Abend an seinem Küchentisch und gönnte sich zum Tagesausklang ein kühles Augustiner, als er unvermutet eine E-Mail von Klan erhielt. Keine großen Höflichkeitsfloskeln, einfach nur knapp: „Dugena hat ja nicht geklappt, wär die hier was für dich? Kann ich dir günstig vermitteln, braucht aber ‘ne Reinigung.“ Beigefügt war ein Bild eines Vintage-Chronographen mit 2 Totalisatoren und Datum. O’Leary besaß bereits 2 Uhren dieser Kategorie und wollte die Mail schon wegklicken, als er sich plötzlich heftig verschluckte und einen Schwall Bier über die Tastatur des Laptops prustete. Die Krone! Die Krone war links! Ein prüfender Blick auf den linken Totalisator offenbarte eine ungewöhnliche Teilung. Das war keine kleine Sekunde, das war ein Stundenzähler! Die Puzzleteile in seinem Gehirn fielen an ihren Platz und bildeten einen Namen: Buren 11. Dann fiel ihm die Bierflasche aus der Hand.
Bis zur Mitte der 60er Jahre hatte es quasi nur Chronographen mit Handaufzug auf dem Markt gegeben, dann begann ein regelrechter Wettlauf um den ersten Automatik-Chronographen. Neben Zenith und Seiko ging auch ein Zusammenschluß so großer Namen wie Heuer, Breitling, Buren und Depraz an den Start. Das technische Konzept sah vor, ein flaches Automatikwerk von Buren mit einem auf einer zusätzlichen Ebene installierten Chronographenmechanismus von Depraz zu verheiraten. Heraus kam schliesslich das Caliber 11 und O’Leary wusste nur zu gut, dass es praktisch unmöglich war auch nur einen Artikel im Netz zu finden, der ohne die Wörter „Kult“ und/oder „legendär“ auskam.
Zitternd öffnete O’Leary ein neues Bier. Das war also Klans Plan. Genial. Es gab keine elegantere Möglichkeit einen Hobby-Uhrmacher auf die Bretter zu schicken, als ihm freundlich lächelnd ein servicebedürftiges Buren 11 unterzuschieben. Das verschachtelte Basiswerk. Die filigrane Automatik mit dem Microrotor. Der völlig zerklüftete Chronographen-Mechanismus. O’Leary sah sich bereits im Geiste fluchen. Er sah sich brüllen. Er sah sich stundenlang auf Knien auf dem Küchenboden herumrutschen, um die während der Demontage weggeflogenen Federn und Kleinteile wiederzufinden. Und die Krönung war, dass er den Plan vollkommen durchschaute, aber trotzdem nicht in der Lage war Widerstand zu leisten. Genial.
O’Leary nahm noch einen großen Schluck Augustiner, dann musste er lächeln. Er nahm noch einen Schluck und sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Schließlich brach er in ein vollkommen irres Gelächter aus und hämmerte die sieben Buchstaben in die Tastatur:
Nehm ich!
256248
256249
256250
256251
256252
Gruß
Erik
P.S.: Es stellte sich schließlich heraus, dass die Uhr mit einem Buren 12 ausgestattet ist, welches sich aber lediglich in der Schwingungsfrequenz der Unruh vom 11er unterscheidet. Und ich glaube auch nicht, dass Klan wirklich zornig war. Aber die Anspielung auf Star Trek II gefiel mir so gut. :D
P.P.S.: Alex, vielen Dank für den angenehmen Deal, hoffentlich laufen wir uns mal wieder über den Weg! :dr::dr: