Bullit
05.10.2020, 13:45
Liebe Foristi,
heute ein Beitrag von mir im Tech-Talk zu einem meiner Lieblingsthemen bzw. Werke. Das Valjoux 72 und insbesondere die von Rolex veredelten Versionen Rolex 722 und 727 haben mich schon immer fasziniert.
Rolex Daytona 6265
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Ich finde dieses Kaliber einfach nur schön, es hat eine wunderbare Balance zwischen Technik und Formgestaltung, es kommt nicht lieblos aber auch nicht verschnörkelt daher. Ich muss aber zugeben, dass ich seine Funktionsweise viele Jahre lang nicht im Detail verstanden habe. Natürlich gibt es viele Beschreibungen und Bilder zur Funktion von Schaltradchronographen, aber der Aufbau ist schon sehr komplex, insbesondere in der Gegend des Schaltrads, wo die diversen Hebel teilweise in drei Ebenen übereinander angeordnet sind. Das vollständige „Bild“ der Funktionalität hat sich in meinem Kopf erst ergeben, nachdem ich so ein Werk vollständig zerlegt hatte. Dabei sind jede Menge Bilder und Videos im teilmontierten Zustand entstanden, die vielleicht dem einen oder anderen Interessierten beim „Verstehen“ dieses Werks behilflich sein können.
Ich habe zwar wenig Respekt vor großen Namen und finanziellen Einbußen, bin aber auch nicht so durchgeknallt, mich mit meinen Amateurkenntnissen gleich an meine 6265 ran zu wagen. Daher war das Objekt dieser Aktion mein Para Prominent Chronograph (falls das Einstellen hier im Rolex-Tech-Talk somit als unpassend empfunden wird, bitte in den Budget-Bereich verschieben).
Para Prominent Chronograph
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Zunächst möchte ich das Zusammenspiel des Räderwerks auf der Unterseite erläutern, dann das Schaltrad, dann das Gewirr von Hebeln und Federn. Zum Abschluss folgen dann noch Räder, Hebel und Federn auf der Zifferblattseite des Werks (keine Ahnung, ob diese Strukturierung glücklich gewählt ist, mir ist keine übersichtlichere eingefallen). Auf grundsätzliche Geschichten wie Funktion der Hemmung, Gesperr, etc. werde ich hier nicht eingehen, da gibt es ja schon mehr als genug im Netz.
Wie bereits oben erwähnt habe ich dieses Uhrwerk anhand von Bildern und verbalen Beschreibungen nie verstanden. Daher sind in diesem Video:
https://vimeo.com/464904400
viele Teilfunktionen in bewegten Bildern dargestellt. Ich empfehle, dieses Video in einem separaten Browserfenster zu öffnen und sich beim entsprechenden Hinweis im Text den jeweiligen kurzen Film anzuschauen.
1. Das Räderwerk
Wir starten mit dem Basiswerk. Auf diesem Bild sieht man die Anordnung von Federhaus, Minutenrad (1 Umdrehung pro Stunde), Kleinbodenrad, Sekundenrad (1 Umdrehung pro Minute) und Ankerrad. Man beachte, dass das Sekundenrad exakt auf „9 Uhr“ positioniert ist. Dieses Rad hat zwei sehr lange Zapfen. Auf dem zifferblattseitigen Zapfen sitzt direkt der kleine Sekundenzeiger.
Räderwerk
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Kurzer Blick auf die Unterseite der Räderwerkbrücke. Hier befinden sich, wie bei vielen Chronographen, die Sperrklinke und das Kronrad, die dann im zusammengebauten Zustand in das auf dem Federhaus befindliche Sperrrad eingreifen. Man beachte das „Loch“ in der Lagerung des Kronrads. Durch dieses Loch taucht später der Zapfen des Minutenzählers.
Räderwerkbrücke
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Basiswerk komplettiert mit Brücken, Anker und Unruh
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Siehe auch Video 1: Basiswerk
Kommen wir nun zu den Rädern, welche für die Chronofunktionen „Sekundenzählen“ und „Minutenzählen“ zuständig sind. Das Minutenzählrad mit seinen 30 Zähnen ist natürlich bei „3 Uhr“ positioniert und hat auch einen langen Zapfen, der den kleinen Minutenzeiger trägt. Das Chrono-Zentrumsrad sitzt in der Mitte des Werks und läuft im hohlen Zapfen des Minutenrads. Es trägt den großen Sekundenzeiger. Oberhalb beider Räder befinden sich die Nullstellherzen. Unter dem Chrono-Zentrumsrad befindet sich der Schaltfinger für die Minutenumschaltung.
Minutenzählrad
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Chrono-Zentrumsrad
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Hier zeige ich mal ohne montierte Brücke die Funktion der Nullstellherzen. Egal wie das Rad steht, wenn der Herzhebel dagegen fährt, wird das Herz immer in die gleiche Position, die Nullposition gedrückt.
Nullstellherzen
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Siehe auch Video 2: Nullstellherzen
Vor dem Einbau des Chrono-Zentrumsrads wird auf der Platine noch eine schwache Friktionsfeder montiert (dürfte einigen hier aus den Rolex 15xx-Werken bekannt sein). Da die Verzahnungen ein gewisses Spiel haben, würde der große Sekundenzeiger ohne diese Feder wild hin und her schlackern.
Friktionsfeder
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Neben dem Minutenzählrad befindet sich die Minutenzählrad-Sperrfeder, die immer zwischen 2 Zähne greift und so sicherstellt, dass der Zeiger auf der Zifferblattseite immer genau auf die Minutenstriche im „3 Uhr“-Totalisator zeigt.
Minutenzählrad-Sperrfeder
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Jetzt wäre es natürlich nicht schlecht, wenn diese Räder auch noch angetrieben werden. Das ist konstruktiv folgendermaßen umgesetzt: Wir erinnern uns an die langen Zapfen des Sekundenrads des Basiswerks bei „9 Uhr“. Auf dem unteren Zapfen wird das Mitnehmerrad montiert. Dessen Drehung wird über das Kupplungsrad auf das Chrono-Zentrumsrad übertragen. Nun fehlt nur noch die Verbindung zum Minutenzählrad. Diese übernimmt das Sternrad. Es überträgt den Minutenschaltvorgang vom Schaltfinger auf das Minutenzählrad.
Zählmechanismus
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Der Schaltfinger kommt einmal pro Minute am Sternrad vorbei, erwischt dabei genau einen Zahn und dreht somit Sternrad und Minutenzählrad so weit herum, dass die Minutenzählrad-Sperrfeder in die nächste Rastung greift. Schwer verständlich? Das Zeitlupenvideo 3 hilft (man kann den Schaltfinger durch das runde Loch im Chrono-Zentrumsrad sehen). Ich habe hier bewusst noch keine weiteren Hebel und Federn montiert, damit man sich auf die Räder konzentrieren kann.
An dieser Stelle ein kleiner Exkurs: Bedingt durch die vielen Übersetzungen ist die Kraft, die am Schaltfinger für die Minutenumschaltung zur Verfügung steht, sehr klein. Daher werden die Lager von Stern- und Minutenzählrad nicht geölt, der Widerstand der Schmierung könnte schon so groß sein, dass die Kraft nicht ausreicht und der Schaltfinger hängenbleibt. Und da ja Basiswerk und Chronographenräder über Zahnräder verbunden sind (da gibt es nirgends eine Rutschkupplung oder einen Freilauf oder sowas) bleibt bei diesem Stunt gleich die komplette Uhr stehen. Das ist die Erklärung für das häufige Fehlerbild „Chrono bleibt bei ca. 58 Sekunden stehen“ – logisch, unmittelbar vor der gescheiterten Minutenumschaltung. Im Video 4 simuliere ich diese Situation, indem ich die Minutenzählrad-Sperrfeder mit einem Schraubendreher blockiere. Man beachte, dass das Werk komplett stehenbleibt. Exkurs Ende.
Jetzt fehlen noch die Räder für die Chronofunktion „Stundenzählen“. Rein theoretisch könnte man ja auf die Idee kommen, diese konstruktiv genauso wie die Minutenzählung zu realisieren, also mit zwei weiteren Rädern und einem Schaltfinger. Praktisch funktioniert das aber nicht, es fehlt schlicht der Platz. Das kleine orange Quadrat liegt ungefähr in der Mitte des 6-Uhr-Totalisators: Wo soll man denn hier noch die entsprechenden Komponenten unterbringen?
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Daher musste die Funktion „Stundenzählen“ auf der Zifferblattseite realisiert werden, dazu kommen wir dann in Kapitel 4.
2. Das Schaltrad
Kommen wir nun zum zentralen Element des Chronographenwerks, dem Schaltrad, manchmal auch als Säulenrad bezeichnet. Dieses ist drehbar auf der Federhausbrücke gelagert und besteht im Wesentlichen aus 2 Ebenen: Die untere Ebene mit einer Sägeverzahnung dient zum Weiterdrehen des Schaltrads und um dieses in einer definierten Position zu halten. Die obere Ebene besteht aus den neun Säulen und natürlich ebensovielen Zwischenräumen, welche dann über diverse Hebel die meisten Funktionen steuern.
Schaltrad
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Nun ein Blick auf die Komponenten, die das Schaltrad festhalten und drehen. Die Schaltrad-Sperre greift zwischen 2 Zähne der Sägeverzahnung und hält das Schaltrad in einer definierten Position.
Schaltradsperre
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Am Ende des Schalthebels befindet sich ein drehbar gelagerter Haken, der in die Sägeverzahnung greift. Die Schalthebelfeder drückt diesen Haken gegen das Schaltrad.
Schalthebel mit Schalthebelfeder
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Jede Betätigung des Schalthebels (also Drücken auf den Start-Stop-Pusher) dreht das Schaltrad um 20 Grad weiter. Befindet sich an einer bestimmten Position eine Säule, so ist dort nach einer Betätigung eine Lücke, nach der nächsten Betätigung wieder eine Säule, usw. Siehe auch Video 5: Schaltrad.
3. Die Hebel und Federn
Arbeiten wir uns nun Stück für Stück durch den Verhau aus Hebeln und Federn durch. Es geht ganz einfach los mit der Kupplung (an der sind wir ja schon beim Thema Räderwerk vorbeigekommen). Die Kupplung wird von der Kupplungsfeder permanent nach innen gedrückt.
Kupplung
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Der Kupplungshebel hat am oberen Ende einen Zacken, der je nach Schaltzustand an einer Säule des Schaltrads anliegt (Chronofunktion aus, linkes Bild) oder in einen Zwischenraum fällt (Chronofunktion an, rechtes Bild).
Kupplung an und aus
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Siehe auch Video 6: Kupplung
Die Kupplungsfeder ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, was dieses Werk ausmacht. Wo bei den kostenoptimierten Nachfolgern (z.B. Valjoux 7733) schnöder gebogener und abgekanteter Federstahldraht zum Einsatz kommt, ist hier alles Vollmaterial. Wunderbare Feinmechanik.
Noch 2 Anmerkungen zur Kupplung. Beim Einkuppeln prallt das Kupplungsrad gegen das Chrono-Zentrumsrad, die Stellung der Zähne zueinander ist dabei quasi zufällig. Das ist der Grund, warum der große Sekundenzeiger beim Chronostart mal verspringt und mal nicht, je nachdem, ob der Kupplungszahn zufällig in eine Lücke trifft oder einen Chronozahn touchiert. Um diesen Effekt wenigstens in erträglichen Grenzen zu halten, ist das Chrono-Zentrumsrad mit einer sehr feinen Verzahnung versehen. Befinden sich die Räder erst einmal im Eingriff, so wird nur jede zweite "Lücke" des Chrono-Zentrumsrads genutzt. Die Zahnhöhe beträgt nur Hundertstelmillimeter. Nun müssen die Zähne des Kupplungsrads einerseits sicher in die Verzahnung des Chrono-Zentrumsrads eingreifen, andererseits dürfen sie nicht den Zahngrund berühren, da sonst die Reibung viel zu hoch wäre. Der Abstand zwischen den Rädern muss also im Hundertstelmillimeterbereich eingestellt werden. Dies wird mit einem Exzenter erreicht, der als Endanschlag für den Kupplungshebel dient (Roter Pfeil im Bild). Solche Exzenter zur Feinjustierung findet man auch noch an diversen anderen Stellen im Werk (z.B. Eingriffstiefe Schaltfinger).
Exzenter und Verzahnung
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Jetzt kommen wir zum Blockierhebel. Dessen Aufgabe ist es, das Chrono-Zentrumsrad und somit den großen Sekundenzeiger festzuhalten, wenn der Chrono-Mechanismus gestoppt wurde. Ohne diesen Hebel bestünde die Gefahr, dass sich Rad und Zeiger bei Erschütterungen verdrehen und somit eine falsche Stoppzeit abgelesen wird. Der Blockierhebel wird von der Blockierhebelfeder gegen das Chrono-Zentrumsrad gedrückt, ein Zacken des Hebels fällt in diesem Zustand in einen Zwischenraum des Schaltrads. Wird nun der Chrono-Mechanismus gestartet, so schiebt eine Säule des Schaltrads den Zacken ein Stück weg, der Hebel wird minimal gedreht und gibt das Chrono-Zentrumsrad frei.
Blockierhebel an und aus
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Siehe auch Video 7: Blockierhebel
Nun noch ein Blick auf die Sternradwippe, die von der zugehörigen Feder nach innen in den Einflußbereich des Schaltfingers gedrückt wird. Warum das Sternrad auf einer schwenkbaren Wippe gelagert ist, sehen wir im nächsten Abschnitt.
Sternradwippe und Feder
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Widmen wir uns jetzt dem etwas komplexeren Thema Reset/Nullstellen. Der ja bereits bekannte Herzhebel wird vom Nullstellhebel angesteuert. Dieser hat im Gegensatz zu den meisten anderen, eher flachen Hebeln, eine ziemlich dreidimensionale Gestalt. Das liegt daran, dass dieser Hebel auch das Nullstellen des Stundenzählers auf der Zifferblattseite ansteuern muss, doch dazu später.
Nullstellhebel
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Herzhebel
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Der Herzhebel wird von der Herzhebelfeder permanent nach außen gedrückt. Betätigt man den Reset-Pusher, so wird der Herzhebel gegen den Widerstand der Feder nach innen gedrückt bis er auf die Nullstellherzen trifft und diese in die Null-Positionen dreht. Dabei gibt es aber noch 3 Dinge zu beachten. Erstens darf das Nullstellen nur bei gestopptem Chronographen möglich sein, damit nichts beschädigt wird. Dies wird durch einen kleinen „Blockierzacken“ realisiert, der unmittelbar neben dem Schaltrad liegt (gelber Punkt im Bild). Läuft der Chrono, so liegt dieser Zacken vor einer Säule, bei der Betätigung des Reset-Pushers knallt er dagegen und ein Nullstellen ist somit nicht möglich. Ist der Chrono gestoppt, so liegt der Zacken vor einer Lücke und die Betätigung des Hebels ist problemlos möglich.
Zweitens muss natürlich der aus dem vorhergehenden Abschnitt bereits bekannte Blockierhebel vom Chrono-Zentrumsrad gelöst werden, damit dieses überhaupt auf Null zurückgedreht werden kann. Dafür sorgt ein weiterer Zacken am Herzhebel, der den Blockierhebel ein Stückchen zur Seite dreht (grüner Punkt im Bild).
Last but not least muss die Sternradwippe ein Stück zur Seite gedreht werden, damit sich beim Nullstellen von Sekunden- und Minutenzähler Sternrad und Schaltfinger nicht ins Gehege kommen. Die Realisierung dieser Funktion ist eines meiner Lieblingsdetails an diesem Werk, sie erfolgt nämlich direkt mit der geschwungenen Kontur des Herzhebels (blaue Punkte im Bild). Ein schönes Beispiel für „form follows function“.
Nullstellen
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Das Thema Nullstellen ist also schon eine durchaus komplexe Angelegenheit. Im Video 8 nochmal alles in bewegten Bildern: Erst ein „gescheiterter“ Nullstellversuch bei laufendem Chrono (Blockierzacken knallt gegen Schaltradsäule). Dann der Nullstellvorgang bei gestopptem Chrono, der Herzhebel löst den Blockierhebel, dreht das Sternrad weg und drückt die Räder in die Nullstellung. Lässt man dann den Pusher wieder los, kehren Blockierhebel, Sternrad und Herzhebel in ihre Ausgangslage zurück.
Fast geschafft, jetzt fehlt uns auf der Unterseite des Werks nur noch ein Hebel, nämlich der Schalthebel (ich bitte bzgl. der Bezeichnung der einzelnen Komponenten generell um Nachsicht - in unterschiedlichen Quellen kursieren unterschiedliche Bezeichnungen). Dieser besitzt auch wieder einen Zacken, der in das Schaltrad greift. Auf der anderen Seite drückt er einen langen Pin zur Seite, der durch die Platine hindurch den Stundenzähler auf der Zifferblattseite aktiviert bzw. deaktiviert. Wie das funktioniert sehen wir dann im nächsten Abschnitt. Aufgrund der hohen Packagedichte kommt es in diesem Werk übrigens an diversen Stellen vor, dass mehrere Komponenten dasselbe Verbindungselement nutzen. So ist der Schalthebel beispielsweise mit derselben Schraube wie die Blockierhebelfeder befestigt.
Schalthebel
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Siehe auch Video 9: Schalthebel
4. Räder, Hebel und Federn auf der Zifferblattseite
Auf der Zifferblattseite des Basiswerks findet sich erstmal nichts Besonderes: Die Drehung des Minutenrohrs wird über das Wechselrad auf das Stundenrad übertragen. Auch der prinzipielle Aufbau des Zeigerstellmechanismus zeigt die üblichen Elemente.
Zifferblattseite
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Wir hatten bei der Betrachtung der Unterseite des Werks ja bereits gesehen, dass der Stundenzähler mangels Bauraum nicht analog des Minutenzählers dargestellt werden kann. Stattdessen hat das Stundenzählrad (welches natürlich auch wieder ein Nullstellherz trägt) auf der Unterseite nur einen extrem kurzen Zapfen, der in der Platine gelagert ist.
Stundenzählrad
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Wie wird nun der Stundenzähler angetrieben? Hier haben sich die Konstrukteure zu Nutze gemacht, dass sich das Federhaus auch mit konstanter Geschwindigkeit dreht, da es ja über Verzahnungen mit der Hemmung gekoppelt ist (das Drehmoment nimmt zwar mit ablaufender Zugfeder ab, die Drehgeschwindigkeit bleibt aber konstant). Diese Drehung wird nun mit einem sehr hohen Zahnrad, welches ganz am Rand der Platine platziert wurde, sozusagen nach oben auf die Zifferblattseite durchgereicht.
Stundenzählertrieb
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Jetzt muss die Drehung natürlich noch auf das Stundenzählrad übertragen werden, aber nicht permanent, sondern nur, wenn der Chrono aktiviert ist. Wir brauchen also analog zur Rückseite eine Kupplung. Auf dem Hebel erkennt man den langen Pin, der durch die Platine auf die Rückseite ragt und dort vom Schalthebel angesteuert wird. Um die erforderlichen Untersetzungen zu realisieren hat das Kupplungsrad 2 Ebenen mit unterschiedlichen Verzahnungen. Die Kupplung wird von einer Feder Richtung mitte gedrückt.
Kupplung Stundenzaehler
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Siehe auch Video 10: Kupplung (Zifferblattseite)
Nach der Montage des Klobens für den Stundenzähler kommt noch eine Friktionsfeder dazu. Diese übernimmt auf der Zifferblattseite die Aufgabe, die auf der Rückseite der Blockierhebel übernimmt, sie verhindert also, dass sich der Stundenzähler bei deaktiviertem Chrono z.B. durch Erschütterungen verdreht. Jetzt kann man natürlich fragen, warum das auf der Rückseite so kompliziert mit einem Blockierhebel gelöst wurde, hätte da nicht auch die ohnehin vorhandene Friktionsfeder gereicht? Es gibt in der Tat einfacher aufgebaute Chronographen ohne Blockierhebel. Ich vermute aber, dass sich bei denen unter extremen Bedingungen (das Apollo-Programm lässt grüssen, das Omega 321 hat z.B. auch einen Blockierhebel) der Sekundenzeiger dann doch mal unbeabsichtigt verdreht. Dieser hat nun mal eine deutlich größere Masse und einen weiter von der Drehachse entfernten Schwerpunkt als der kleine Stundenzählerzeiger.
Friktionsfeder Stundenzähler
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Damit sind wir auf der Zielgeraden, fehlt nur noch das Nullstellen des Stundenzählers. Wie schon erwähnt steuert der bereits von der Rückseite bekannte Nullstellhebel auch den „Herzhebel“ auf der Zifferblattseite an. „Herzhebel“ in Anführungszeichen, da die Konstrukteure hier keine Möglichkeit gefunden haben unter den gegebenen Randbedingungen die Funktion mit einem einfachen Hebel zu realisieren. Und was macht man in so einem Fall? Richtig, man setzt ein Viergelenk ein. Dieses wird natürlich wieder von einer Feder in der Ausgangslage gehalten.
Nullstellsystem Zifferblattseite
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Siehe auch Video 11: Nullstellen (Zifferblattseite)
Noch 2 Anmerkungen zur Zifferblattseite. Man erkennt im letzten Bild, dass links vom Stundenrad noch ziemlich viel Platz vorhanden ist, der lediglich mit einem sichelförmigen Distanzhalter für das Blatt aufgefüllt wurde. Das ist in einem Baukastensystem begründet, das Valjoux 72 hat noch weitere Ausbaustufen, nämlich das 72C (mit Kalender) und das 88 (mit Kalender und Mondphase). Bei diesen Kalibern ist dann auch die Zifferblattseite restlos vollgebaut.
Und bei aller Begeisterung für dieses Werk sei die Bemerkung erlaubt, dass die Zifferblattseite nicht gerade eine Augenweide ist. Vielleicht haben sich die Verantwortlichen gedacht, dass da eh nur alle 10 Jahre ein Uhrmacher bei der Revi kurz drauf guckt.
So, ich hoffe, die kleine Reise in das Innere eines Vintage-Schaltradchronographen hat euch gefallen. Danke fürs Reinschauen.
Gruß
Erik
heute ein Beitrag von mir im Tech-Talk zu einem meiner Lieblingsthemen bzw. Werke. Das Valjoux 72 und insbesondere die von Rolex veredelten Versionen Rolex 722 und 727 haben mich schon immer fasziniert.
Rolex Daytona 6265
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Ich finde dieses Kaliber einfach nur schön, es hat eine wunderbare Balance zwischen Technik und Formgestaltung, es kommt nicht lieblos aber auch nicht verschnörkelt daher. Ich muss aber zugeben, dass ich seine Funktionsweise viele Jahre lang nicht im Detail verstanden habe. Natürlich gibt es viele Beschreibungen und Bilder zur Funktion von Schaltradchronographen, aber der Aufbau ist schon sehr komplex, insbesondere in der Gegend des Schaltrads, wo die diversen Hebel teilweise in drei Ebenen übereinander angeordnet sind. Das vollständige „Bild“ der Funktionalität hat sich in meinem Kopf erst ergeben, nachdem ich so ein Werk vollständig zerlegt hatte. Dabei sind jede Menge Bilder und Videos im teilmontierten Zustand entstanden, die vielleicht dem einen oder anderen Interessierten beim „Verstehen“ dieses Werks behilflich sein können.
Ich habe zwar wenig Respekt vor großen Namen und finanziellen Einbußen, bin aber auch nicht so durchgeknallt, mich mit meinen Amateurkenntnissen gleich an meine 6265 ran zu wagen. Daher war das Objekt dieser Aktion mein Para Prominent Chronograph (falls das Einstellen hier im Rolex-Tech-Talk somit als unpassend empfunden wird, bitte in den Budget-Bereich verschieben).
Para Prominent Chronograph
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Zunächst möchte ich das Zusammenspiel des Räderwerks auf der Unterseite erläutern, dann das Schaltrad, dann das Gewirr von Hebeln und Federn. Zum Abschluss folgen dann noch Räder, Hebel und Federn auf der Zifferblattseite des Werks (keine Ahnung, ob diese Strukturierung glücklich gewählt ist, mir ist keine übersichtlichere eingefallen). Auf grundsätzliche Geschichten wie Funktion der Hemmung, Gesperr, etc. werde ich hier nicht eingehen, da gibt es ja schon mehr als genug im Netz.
Wie bereits oben erwähnt habe ich dieses Uhrwerk anhand von Bildern und verbalen Beschreibungen nie verstanden. Daher sind in diesem Video:
https://vimeo.com/464904400
viele Teilfunktionen in bewegten Bildern dargestellt. Ich empfehle, dieses Video in einem separaten Browserfenster zu öffnen und sich beim entsprechenden Hinweis im Text den jeweiligen kurzen Film anzuschauen.
1. Das Räderwerk
Wir starten mit dem Basiswerk. Auf diesem Bild sieht man die Anordnung von Federhaus, Minutenrad (1 Umdrehung pro Stunde), Kleinbodenrad, Sekundenrad (1 Umdrehung pro Minute) und Ankerrad. Man beachte, dass das Sekundenrad exakt auf „9 Uhr“ positioniert ist. Dieses Rad hat zwei sehr lange Zapfen. Auf dem zifferblattseitigen Zapfen sitzt direkt der kleine Sekundenzeiger.
Räderwerk
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Kurzer Blick auf die Unterseite der Räderwerkbrücke. Hier befinden sich, wie bei vielen Chronographen, die Sperrklinke und das Kronrad, die dann im zusammengebauten Zustand in das auf dem Federhaus befindliche Sperrrad eingreifen. Man beachte das „Loch“ in der Lagerung des Kronrads. Durch dieses Loch taucht später der Zapfen des Minutenzählers.
Räderwerkbrücke
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Basiswerk komplettiert mit Brücken, Anker und Unruh
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Siehe auch Video 1: Basiswerk
Kommen wir nun zu den Rädern, welche für die Chronofunktionen „Sekundenzählen“ und „Minutenzählen“ zuständig sind. Das Minutenzählrad mit seinen 30 Zähnen ist natürlich bei „3 Uhr“ positioniert und hat auch einen langen Zapfen, der den kleinen Minutenzeiger trägt. Das Chrono-Zentrumsrad sitzt in der Mitte des Werks und läuft im hohlen Zapfen des Minutenrads. Es trägt den großen Sekundenzeiger. Oberhalb beider Räder befinden sich die Nullstellherzen. Unter dem Chrono-Zentrumsrad befindet sich der Schaltfinger für die Minutenumschaltung.
Minutenzählrad
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Chrono-Zentrumsrad
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Hier zeige ich mal ohne montierte Brücke die Funktion der Nullstellherzen. Egal wie das Rad steht, wenn der Herzhebel dagegen fährt, wird das Herz immer in die gleiche Position, die Nullposition gedrückt.
Nullstellherzen
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Siehe auch Video 2: Nullstellherzen
Vor dem Einbau des Chrono-Zentrumsrads wird auf der Platine noch eine schwache Friktionsfeder montiert (dürfte einigen hier aus den Rolex 15xx-Werken bekannt sein). Da die Verzahnungen ein gewisses Spiel haben, würde der große Sekundenzeiger ohne diese Feder wild hin und her schlackern.
Friktionsfeder
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Neben dem Minutenzählrad befindet sich die Minutenzählrad-Sperrfeder, die immer zwischen 2 Zähne greift und so sicherstellt, dass der Zeiger auf der Zifferblattseite immer genau auf die Minutenstriche im „3 Uhr“-Totalisator zeigt.
Minutenzählrad-Sperrfeder
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Jetzt wäre es natürlich nicht schlecht, wenn diese Räder auch noch angetrieben werden. Das ist konstruktiv folgendermaßen umgesetzt: Wir erinnern uns an die langen Zapfen des Sekundenrads des Basiswerks bei „9 Uhr“. Auf dem unteren Zapfen wird das Mitnehmerrad montiert. Dessen Drehung wird über das Kupplungsrad auf das Chrono-Zentrumsrad übertragen. Nun fehlt nur noch die Verbindung zum Minutenzählrad. Diese übernimmt das Sternrad. Es überträgt den Minutenschaltvorgang vom Schaltfinger auf das Minutenzählrad.
Zählmechanismus
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Der Schaltfinger kommt einmal pro Minute am Sternrad vorbei, erwischt dabei genau einen Zahn und dreht somit Sternrad und Minutenzählrad so weit herum, dass die Minutenzählrad-Sperrfeder in die nächste Rastung greift. Schwer verständlich? Das Zeitlupenvideo 3 hilft (man kann den Schaltfinger durch das runde Loch im Chrono-Zentrumsrad sehen). Ich habe hier bewusst noch keine weiteren Hebel und Federn montiert, damit man sich auf die Räder konzentrieren kann.
An dieser Stelle ein kleiner Exkurs: Bedingt durch die vielen Übersetzungen ist die Kraft, die am Schaltfinger für die Minutenumschaltung zur Verfügung steht, sehr klein. Daher werden die Lager von Stern- und Minutenzählrad nicht geölt, der Widerstand der Schmierung könnte schon so groß sein, dass die Kraft nicht ausreicht und der Schaltfinger hängenbleibt. Und da ja Basiswerk und Chronographenräder über Zahnräder verbunden sind (da gibt es nirgends eine Rutschkupplung oder einen Freilauf oder sowas) bleibt bei diesem Stunt gleich die komplette Uhr stehen. Das ist die Erklärung für das häufige Fehlerbild „Chrono bleibt bei ca. 58 Sekunden stehen“ – logisch, unmittelbar vor der gescheiterten Minutenumschaltung. Im Video 4 simuliere ich diese Situation, indem ich die Minutenzählrad-Sperrfeder mit einem Schraubendreher blockiere. Man beachte, dass das Werk komplett stehenbleibt. Exkurs Ende.
Jetzt fehlen noch die Räder für die Chronofunktion „Stundenzählen“. Rein theoretisch könnte man ja auf die Idee kommen, diese konstruktiv genauso wie die Minutenzählung zu realisieren, also mit zwei weiteren Rädern und einem Schaltfinger. Praktisch funktioniert das aber nicht, es fehlt schlicht der Platz. Das kleine orange Quadrat liegt ungefähr in der Mitte des 6-Uhr-Totalisators: Wo soll man denn hier noch die entsprechenden Komponenten unterbringen?
251931
Daher musste die Funktion „Stundenzählen“ auf der Zifferblattseite realisiert werden, dazu kommen wir dann in Kapitel 4.
2. Das Schaltrad
Kommen wir nun zum zentralen Element des Chronographenwerks, dem Schaltrad, manchmal auch als Säulenrad bezeichnet. Dieses ist drehbar auf der Federhausbrücke gelagert und besteht im Wesentlichen aus 2 Ebenen: Die untere Ebene mit einer Sägeverzahnung dient zum Weiterdrehen des Schaltrads und um dieses in einer definierten Position zu halten. Die obere Ebene besteht aus den neun Säulen und natürlich ebensovielen Zwischenräumen, welche dann über diverse Hebel die meisten Funktionen steuern.
Schaltrad
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Nun ein Blick auf die Komponenten, die das Schaltrad festhalten und drehen. Die Schaltrad-Sperre greift zwischen 2 Zähne der Sägeverzahnung und hält das Schaltrad in einer definierten Position.
Schaltradsperre
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Am Ende des Schalthebels befindet sich ein drehbar gelagerter Haken, der in die Sägeverzahnung greift. Die Schalthebelfeder drückt diesen Haken gegen das Schaltrad.
Schalthebel mit Schalthebelfeder
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Jede Betätigung des Schalthebels (also Drücken auf den Start-Stop-Pusher) dreht das Schaltrad um 20 Grad weiter. Befindet sich an einer bestimmten Position eine Säule, so ist dort nach einer Betätigung eine Lücke, nach der nächsten Betätigung wieder eine Säule, usw. Siehe auch Video 5: Schaltrad.
3. Die Hebel und Federn
Arbeiten wir uns nun Stück für Stück durch den Verhau aus Hebeln und Federn durch. Es geht ganz einfach los mit der Kupplung (an der sind wir ja schon beim Thema Räderwerk vorbeigekommen). Die Kupplung wird von der Kupplungsfeder permanent nach innen gedrückt.
Kupplung
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Der Kupplungshebel hat am oberen Ende einen Zacken, der je nach Schaltzustand an einer Säule des Schaltrads anliegt (Chronofunktion aus, linkes Bild) oder in einen Zwischenraum fällt (Chronofunktion an, rechtes Bild).
Kupplung an und aus
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Siehe auch Video 6: Kupplung
Die Kupplungsfeder ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, was dieses Werk ausmacht. Wo bei den kostenoptimierten Nachfolgern (z.B. Valjoux 7733) schnöder gebogener und abgekanteter Federstahldraht zum Einsatz kommt, ist hier alles Vollmaterial. Wunderbare Feinmechanik.
Noch 2 Anmerkungen zur Kupplung. Beim Einkuppeln prallt das Kupplungsrad gegen das Chrono-Zentrumsrad, die Stellung der Zähne zueinander ist dabei quasi zufällig. Das ist der Grund, warum der große Sekundenzeiger beim Chronostart mal verspringt und mal nicht, je nachdem, ob der Kupplungszahn zufällig in eine Lücke trifft oder einen Chronozahn touchiert. Um diesen Effekt wenigstens in erträglichen Grenzen zu halten, ist das Chrono-Zentrumsrad mit einer sehr feinen Verzahnung versehen. Befinden sich die Räder erst einmal im Eingriff, so wird nur jede zweite "Lücke" des Chrono-Zentrumsrads genutzt. Die Zahnhöhe beträgt nur Hundertstelmillimeter. Nun müssen die Zähne des Kupplungsrads einerseits sicher in die Verzahnung des Chrono-Zentrumsrads eingreifen, andererseits dürfen sie nicht den Zahngrund berühren, da sonst die Reibung viel zu hoch wäre. Der Abstand zwischen den Rädern muss also im Hundertstelmillimeterbereich eingestellt werden. Dies wird mit einem Exzenter erreicht, der als Endanschlag für den Kupplungshebel dient (Roter Pfeil im Bild). Solche Exzenter zur Feinjustierung findet man auch noch an diversen anderen Stellen im Werk (z.B. Eingriffstiefe Schaltfinger).
Exzenter und Verzahnung
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Jetzt kommen wir zum Blockierhebel. Dessen Aufgabe ist es, das Chrono-Zentrumsrad und somit den großen Sekundenzeiger festzuhalten, wenn der Chrono-Mechanismus gestoppt wurde. Ohne diesen Hebel bestünde die Gefahr, dass sich Rad und Zeiger bei Erschütterungen verdrehen und somit eine falsche Stoppzeit abgelesen wird. Der Blockierhebel wird von der Blockierhebelfeder gegen das Chrono-Zentrumsrad gedrückt, ein Zacken des Hebels fällt in diesem Zustand in einen Zwischenraum des Schaltrads. Wird nun der Chrono-Mechanismus gestartet, so schiebt eine Säule des Schaltrads den Zacken ein Stück weg, der Hebel wird minimal gedreht und gibt das Chrono-Zentrumsrad frei.
Blockierhebel an und aus
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Siehe auch Video 7: Blockierhebel
Nun noch ein Blick auf die Sternradwippe, die von der zugehörigen Feder nach innen in den Einflußbereich des Schaltfingers gedrückt wird. Warum das Sternrad auf einer schwenkbaren Wippe gelagert ist, sehen wir im nächsten Abschnitt.
Sternradwippe und Feder
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Widmen wir uns jetzt dem etwas komplexeren Thema Reset/Nullstellen. Der ja bereits bekannte Herzhebel wird vom Nullstellhebel angesteuert. Dieser hat im Gegensatz zu den meisten anderen, eher flachen Hebeln, eine ziemlich dreidimensionale Gestalt. Das liegt daran, dass dieser Hebel auch das Nullstellen des Stundenzählers auf der Zifferblattseite ansteuern muss, doch dazu später.
Nullstellhebel
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Herzhebel
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Der Herzhebel wird von der Herzhebelfeder permanent nach außen gedrückt. Betätigt man den Reset-Pusher, so wird der Herzhebel gegen den Widerstand der Feder nach innen gedrückt bis er auf die Nullstellherzen trifft und diese in die Null-Positionen dreht. Dabei gibt es aber noch 3 Dinge zu beachten. Erstens darf das Nullstellen nur bei gestopptem Chronographen möglich sein, damit nichts beschädigt wird. Dies wird durch einen kleinen „Blockierzacken“ realisiert, der unmittelbar neben dem Schaltrad liegt (gelber Punkt im Bild). Läuft der Chrono, so liegt dieser Zacken vor einer Säule, bei der Betätigung des Reset-Pushers knallt er dagegen und ein Nullstellen ist somit nicht möglich. Ist der Chrono gestoppt, so liegt der Zacken vor einer Lücke und die Betätigung des Hebels ist problemlos möglich.
Zweitens muss natürlich der aus dem vorhergehenden Abschnitt bereits bekannte Blockierhebel vom Chrono-Zentrumsrad gelöst werden, damit dieses überhaupt auf Null zurückgedreht werden kann. Dafür sorgt ein weiterer Zacken am Herzhebel, der den Blockierhebel ein Stückchen zur Seite dreht (grüner Punkt im Bild).
Last but not least muss die Sternradwippe ein Stück zur Seite gedreht werden, damit sich beim Nullstellen von Sekunden- und Minutenzähler Sternrad und Schaltfinger nicht ins Gehege kommen. Die Realisierung dieser Funktion ist eines meiner Lieblingsdetails an diesem Werk, sie erfolgt nämlich direkt mit der geschwungenen Kontur des Herzhebels (blaue Punkte im Bild). Ein schönes Beispiel für „form follows function“.
Nullstellen
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Das Thema Nullstellen ist also schon eine durchaus komplexe Angelegenheit. Im Video 8 nochmal alles in bewegten Bildern: Erst ein „gescheiterter“ Nullstellversuch bei laufendem Chrono (Blockierzacken knallt gegen Schaltradsäule). Dann der Nullstellvorgang bei gestopptem Chrono, der Herzhebel löst den Blockierhebel, dreht das Sternrad weg und drückt die Räder in die Nullstellung. Lässt man dann den Pusher wieder los, kehren Blockierhebel, Sternrad und Herzhebel in ihre Ausgangslage zurück.
Fast geschafft, jetzt fehlt uns auf der Unterseite des Werks nur noch ein Hebel, nämlich der Schalthebel (ich bitte bzgl. der Bezeichnung der einzelnen Komponenten generell um Nachsicht - in unterschiedlichen Quellen kursieren unterschiedliche Bezeichnungen). Dieser besitzt auch wieder einen Zacken, der in das Schaltrad greift. Auf der anderen Seite drückt er einen langen Pin zur Seite, der durch die Platine hindurch den Stundenzähler auf der Zifferblattseite aktiviert bzw. deaktiviert. Wie das funktioniert sehen wir dann im nächsten Abschnitt. Aufgrund der hohen Packagedichte kommt es in diesem Werk übrigens an diversen Stellen vor, dass mehrere Komponenten dasselbe Verbindungselement nutzen. So ist der Schalthebel beispielsweise mit derselben Schraube wie die Blockierhebelfeder befestigt.
Schalthebel
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Siehe auch Video 9: Schalthebel
4. Räder, Hebel und Federn auf der Zifferblattseite
Auf der Zifferblattseite des Basiswerks findet sich erstmal nichts Besonderes: Die Drehung des Minutenrohrs wird über das Wechselrad auf das Stundenrad übertragen. Auch der prinzipielle Aufbau des Zeigerstellmechanismus zeigt die üblichen Elemente.
Zifferblattseite
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Wir hatten bei der Betrachtung der Unterseite des Werks ja bereits gesehen, dass der Stundenzähler mangels Bauraum nicht analog des Minutenzählers dargestellt werden kann. Stattdessen hat das Stundenzählrad (welches natürlich auch wieder ein Nullstellherz trägt) auf der Unterseite nur einen extrem kurzen Zapfen, der in der Platine gelagert ist.
Stundenzählrad
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Wie wird nun der Stundenzähler angetrieben? Hier haben sich die Konstrukteure zu Nutze gemacht, dass sich das Federhaus auch mit konstanter Geschwindigkeit dreht, da es ja über Verzahnungen mit der Hemmung gekoppelt ist (das Drehmoment nimmt zwar mit ablaufender Zugfeder ab, die Drehgeschwindigkeit bleibt aber konstant). Diese Drehung wird nun mit einem sehr hohen Zahnrad, welches ganz am Rand der Platine platziert wurde, sozusagen nach oben auf die Zifferblattseite durchgereicht.
Stundenzählertrieb
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Jetzt muss die Drehung natürlich noch auf das Stundenzählrad übertragen werden, aber nicht permanent, sondern nur, wenn der Chrono aktiviert ist. Wir brauchen also analog zur Rückseite eine Kupplung. Auf dem Hebel erkennt man den langen Pin, der durch die Platine auf die Rückseite ragt und dort vom Schalthebel angesteuert wird. Um die erforderlichen Untersetzungen zu realisieren hat das Kupplungsrad 2 Ebenen mit unterschiedlichen Verzahnungen. Die Kupplung wird von einer Feder Richtung mitte gedrückt.
Kupplung Stundenzaehler
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Siehe auch Video 10: Kupplung (Zifferblattseite)
Nach der Montage des Klobens für den Stundenzähler kommt noch eine Friktionsfeder dazu. Diese übernimmt auf der Zifferblattseite die Aufgabe, die auf der Rückseite der Blockierhebel übernimmt, sie verhindert also, dass sich der Stundenzähler bei deaktiviertem Chrono z.B. durch Erschütterungen verdreht. Jetzt kann man natürlich fragen, warum das auf der Rückseite so kompliziert mit einem Blockierhebel gelöst wurde, hätte da nicht auch die ohnehin vorhandene Friktionsfeder gereicht? Es gibt in der Tat einfacher aufgebaute Chronographen ohne Blockierhebel. Ich vermute aber, dass sich bei denen unter extremen Bedingungen (das Apollo-Programm lässt grüssen, das Omega 321 hat z.B. auch einen Blockierhebel) der Sekundenzeiger dann doch mal unbeabsichtigt verdreht. Dieser hat nun mal eine deutlich größere Masse und einen weiter von der Drehachse entfernten Schwerpunkt als der kleine Stundenzählerzeiger.
Friktionsfeder Stundenzähler
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Damit sind wir auf der Zielgeraden, fehlt nur noch das Nullstellen des Stundenzählers. Wie schon erwähnt steuert der bereits von der Rückseite bekannte Nullstellhebel auch den „Herzhebel“ auf der Zifferblattseite an. „Herzhebel“ in Anführungszeichen, da die Konstrukteure hier keine Möglichkeit gefunden haben unter den gegebenen Randbedingungen die Funktion mit einem einfachen Hebel zu realisieren. Und was macht man in so einem Fall? Richtig, man setzt ein Viergelenk ein. Dieses wird natürlich wieder von einer Feder in der Ausgangslage gehalten.
Nullstellsystem Zifferblattseite
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Siehe auch Video 11: Nullstellen (Zifferblattseite)
Noch 2 Anmerkungen zur Zifferblattseite. Man erkennt im letzten Bild, dass links vom Stundenrad noch ziemlich viel Platz vorhanden ist, der lediglich mit einem sichelförmigen Distanzhalter für das Blatt aufgefüllt wurde. Das ist in einem Baukastensystem begründet, das Valjoux 72 hat noch weitere Ausbaustufen, nämlich das 72C (mit Kalender) und das 88 (mit Kalender und Mondphase). Bei diesen Kalibern ist dann auch die Zifferblattseite restlos vollgebaut.
Und bei aller Begeisterung für dieses Werk sei die Bemerkung erlaubt, dass die Zifferblattseite nicht gerade eine Augenweide ist. Vielleicht haben sich die Verantwortlichen gedacht, dass da eh nur alle 10 Jahre ein Uhrmacher bei der Revi kurz drauf guckt.
So, ich hoffe, die kleine Reise in das Innere eines Vintage-Schaltradchronographen hat euch gefallen. Danke fürs Reinschauen.
Gruß
Erik