Sensationell Erik. Gratuliere zu den tollen Chronos & der sehr unterhaltsamen Geschiche
Ergebnis 1 bis 20 von 30
Thema: A budget story
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20.02.2017, 10:12 #1
A budget story
O’Leary hatte den Kanal mal wieder gestrichen voll. Die ausufernde Bürokratie in der Abteilung rang im zwar schon längst nicht mehr als ein müdes Lächeln ab, aber dass eine Kollegin seit Neuestem bei der Arbeit pausenlos alte Roger-Whittaker-Schlager hörte, das war dann doch des Guten ein bisschen zu viel. Als er sich dabei ertappte, wie er ein melodiöses "…hoch in den Bergen von Norton Green…" vor sich hin summte, biss er sich auf die Zunge und trottete weiter durch den feinen Sprühregen auf das Postamt zu. Dort war wenigstens ein Lichtblick zu erwarten. Wenige Tage zuvor war es ihm gelungen, von einem Hamburger Adligen für einen vernünftigen Preis einen alten Chronographen zu kaufen, in dem ein Valjoux 72 tickte, Zustand des Uhrwerks unbekannt.
O’Leary hatte eine fast sentimentale Beziehung zu diesem Werk. "Das Valjoux 72 hat Seele und Charakter, außerdem ist es das schönste Werk aller Zeiten.", pflegte er zu sagen. Er nannte bereits einen Chronographen mit diesem Werk sein eigen, dieser war aber ein ziemlich teures Exemplar und somit für seinen Plan, sich einmal selbst an der Zerlegung dieses Kunstwerks zu versuchen, eher ungeeignet. Dass die Uhr aus Hamburg kam, war ein weiterer Pluspunkt, denn O’Leary hatte viele Jahre im Norden gelebt und war von Kindheit an Anhänger eines dort ansässigen Fußballvereins. Wobei die Leistungen dieses Vereins in den letzten Jahren auch wieder eher in den Bereich der Tristesse gehörten. Er schob dem Angestellten hinter dem Schalter den Abholschein rüber, nahm das Paket in Empfang und zuckte bei der ihm hinterhergebrüllten Verabschiedung "Hoabe die Ehre!!!" nur noch leicht zusammen.
Zuhause angekommen machte sich O‘Leary sogleich daran, das Paket auszupacken. Was da zum Vorschein kam, war ganz erstaunlich. Die Uhr, eine seltene "Para Prominent", hatte ein dunkelgraues Zifferblatt mit weißen Totalisatoren und eine zeitlose Gehäuseform, maß aber im Durchmesser lediglich 34 Millimeter. Das war theoretisch zu wenig für O’Learys Handgelenk, aber am Arm machte die Uhr eine durchaus gute Figur. Ein paar Messungen mit der Zeitwaage brachten dann ziemlich rasch die Erkenntnis, dass diese Uhr technisch einwandfrei daher kam, so dass der Plan der Zerlegung augenblicklich fallengelassen wurde. "Never change a running system…", murmelte O’Leary noch, trank sein Augustiner aus und ging ins Bett.
In den nächsten Tagen wich die Para nicht mehr von seinem Arm und während er auf dem Heimweg von der Arbeit darüber nachgrübelte, wie er jetzt mit seinen Chronographen-Plänen weitermachen sollte, kam O’Leary am Auktionshaus Eberbucht vorbei. Dass dieses alles andere als die erste Adresse für einen Uhrenkauf war, wusste jeder in der Stadt, aber wenn es denn nur um ein Objekt zum Üben ging? Er betrat den Auktionssaal für Uhren und verfolgte ein paar Minuten lang das groteske Treiben. "Die Überalterung der Gesellschaft muss ein Gerücht sein, wenn hier jede zweite Uhr von einem toten Opa stammt", dachte er sich mit einem innerlichen Seufzen, als der nächste Aufruf plötzlich sein Interesse weckte.
"Zur Versteigerung kommt ein wunderschöner BWC-Chronograph mit Valjoux 7733-Werk. Er stammt aus dem Nachlass eines kürzlich verstorbenen Sammlers. Ich bitte um ihre Gebote!" Dem Zustand der Uhr nach zu schließen, schien der kürzlich verstorbene Sammler ein bewegtes Leben als Arbeiter im Straßenbau geführt zu haben. Ein übel zugerichtetes Gehäuse, halb weggeschliffene Drücker, das Plexiglas total zerkratzt und Rostflecken auf dem Zifferblatt. Außerdem war das natürlich ein Werk mit Nockenschaltung, nicht mit Schaltrad. Die Gehäuseform war von jenem Typus, der einem schon aus 10 Metern Entfernung zurief: "Hallo, ich bin ein Kind der 60er und ein ziemlich pummeliges obendrein!" O’Leary hatte nie verstanden, was einige von seinen Sammlerfreunden an diesem altbackenen Kram fanden. "Wenn dann noch auf Zeigern oder Zifferblatt ein Farbtupfer Orange hinzukommt, ticken einige von denen völlig aus. Seltsames Volk", dachte O’Leary. Nach einer halben Minute gespenstischem Schweigen fasste er sich ein Herz und hob den Arm.
Die nächsten 2 Tage verbrachte er fast durchgängig in der Buchhandlung Zwischennetz auf der Suche nach Literatur zu diversen Chronographenwerken. Unübersichtlich wie die Buchhandlung war, gestaltete sich die Suche schwierig, war aber letztlich von Erfolg gekrönt. Mit dem geballten Wissen in gedruckter Form bewaffnet, machte sich O’Leary an die Zerlegung der BWC, nur um nach wenigen Minuten festzustellen, dass er da kein Valjoux 7733 vor sich hatte, sondern ein Landeron 248. Er war jedoch nicht der Typ, der seine Lebenszeit mit endlosen Streitereien mit dem Auktionshaus Eberbucht verschwendete. "Na gut, dann eben ein Landeron 248, ist ja auch ein Nockenschaltwerk", sagte er sich und machte sich abermals auf den Weg zur Buchhandlung. Dass sich am Wegesrand ein Wirtshaus mit Augustinerausschank vom Fass befand, war wohl ein glücklicher Zufall.
An dieser Stelle wäre die Geschichte jetzt eigentlich zu Ende. Aber es kam anders. Es kam anders wegen Heinz Krake. Heinz Krake war ein ehemaliger Mitarbeiter der Stasi und seit einigen Jahren im Auktionshaus Eberbucht tätig. Er führte pedantisch Buch und zwar nicht nur über alle Käufe, die im Auktionshaus getätigt wurden, sondern auch über alle Anwesenden bei jeder Auktion. Die anderen Mitarbeiter nannten ihn hinter vorgehaltener Hand Daten-Krake und auch wenn die Verfügbarkeit der von ihm gesammelten Informationen von vielen geschätzt wurde, hatten die meisten im Umgang mit ihm doch ein mulmiges Gefühl. Die Tätigkeit von Heinz Krake war natürlich kein Selbstzweck. Durch die jahrelange Stasi-Arbeit geschult sah er Querverbindungen, die kein anderer auch nur erahnte (oft genug sah er auch Querverbindungen wo gar keine existierten, aber das ist eine andere Geschichte). Und dann schrieb er einen Brief.
So kam es, dass O’Leary etwa 2 Wochen später ein Schreiben vom Auktionshaus Eberbucht in seinem Briefkasten vorfand, in dem freundlich auf die am selben Abend stattfindende Versteigerung einer Uhr hingewiesen wurde, die ihn vielleicht interessieren würde. Beigefügt waren ein Bild und eine kurze Beschreibung der Uhr. O’Leary stutzte kurz, ließ den soeben gekauften Augustiner-Kasten fallen und rannte los.
"Zur Versteigerung kommt ein wunderschöner Para-Prominent-Chronograph mit Landeron 248-Werk. Er stammt aus dem Nachlass eines kürzlich verstorbenen Sammlers. Ich bitte um ihre Gebote!" Diesmal lief die Sache nicht ganz so einfach ab. Die Para war in sehr gutem Zustand und O’Leary wahrlich nicht der einzige Bieter. Dennoch setzte er sich durch, auch wenn der gezahlte Preis die Grenze zur Unvernunft schon deutlich ankratzte.
Am Abend saß er in seiner Wohnung, trank eine Flasche Augustiner und betrachtete die beiden Paras. Richtig schöne Uhren. Das mussten doch schon andere bemerkt haben. Warum waren diese Chronographen völlig unbekannt?
Es gab so einige Verbindungen zwischen berühmten Persönlichkeiten der 60er und 70er Jahre und Uhren aus dieser Zeit. Paul Newman hatte zum Beispiel eine bestimmte Rolex Daytona besessen, Steve McQueen eine Submariner und unzählige Rennfahrer die unterschiedlichsten Modelle von Heuer. "Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht auch irgendeiner der ganz Großen mal eine Para Prominent getragen hatte", dachte O’Leary und öffnete ein weiteres Bier. Er saß noch viele Stunden am Küchentisch und grübelte, und je länger er grübelte, desto sicherer wurde er sich bezüglich der Richtigkeit seiner Theorie. "Eines Tages taucht ein altes Beweisfoto auf", nuschelte O’Leary, "und wenn dann die erste Para Prominent "Mister X" mit einem 6-stelligen Estimate bei Philipps gelistet wird, dann bin ich ein gemachter Mann…" Er griff noch einmal in den Kasten, aber der war schon leer.
Gruß
Erik"Ich bin Mr. Wolf. Ich löse Probleme."
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20.02.2017, 10:41 #2cheers, Behrad
Je mehr Vergnügen du an deiner Arbeit hast, desto besser wird sie bezahlt.
Suche: Sehr gute 6263 WD aus den 80igern
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20.02.2017, 10:51 #3
LOL, wie geil. Coole Story, schöne Uhren
Beste Grüße, Tobias
If you reject your own ideas, then the part of the brain that comes up with ideas is going to stop.
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20.02.2017, 12:12 #4
Sehr schön, genau dafür liebe ich dieses Forum so. Vielen Dank!
Viele Grüße, Carsten
Man muss immer tun, was man nicht lassen kann.
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20.02.2017, 12:30 #5
- Registriert seit
- 01.06.2005
- Beiträge
- 610
Einfach großartig.
Liebe Grüße
Michael
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20.02.2017, 12:33 #6
Wow, Hammer, danke Erik!
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Beste Grüße, Andreas
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20.02.2017, 12:42 #7
Roger Whittaker in Verbindung mit 1328 muß extrem bewußtseinstrübend sein!!!! Geile Uhren!
Gruß,
Michi
If the government says you don`t need a gun......buy two!
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20.02.2017, 13:05 #8
Und das Rätsel der legendären Pforzheimer Werke ist somit gelöst.Mit besten Grüßen,
Stefan
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20.02.2017, 13:05 #9
Was für eine Geschichte, vielen Dank dafür. Und Glückwunsch zu den beiden tollen Chronos!
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20.02.2017, 13:17 #10
Sehr coole Geschichte und toll geschriebe
Grüße! Christoph
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20.02.2017, 13:27 #11
Top, so eine Para wollte ich schon immer
Gruß Michael
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20.02.2017, 13:52 #12
Sehr cool geschrieben!
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20.02.2017, 14:06 #13Gruß, Oliver
Als ich meinen Benutzernamen ausgesucht hab', fand ich ihn gut - Heute stehe ich dazu
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20.02.2017, 14:57 #14
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20.02.2017, 19:01 #15
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20.02.2017, 19:03 #16
Toll geschrieben, dann viel Freude an den Uhren.
Ohne Signatur
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20.02.2017, 19:25 #17
sehr genial.
Gruß Robert
" Glück ist für mich, wenn mir keiner auf den Sack geht " ( Klaus Kinski )
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20.02.2017, 19:26 #18
Sehr schöne Geschichte und tolle "No-Name"-Uhren!
Gruß, Georg
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20.02.2017, 19:54 #19Harald
"All the world's a stage,
And all the men and women merely players."
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20.02.2017, 23:20 #20
O’Leary würde ich mal gerne kennenlernen, muss ein Typ sein mit Geschmack.
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